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Es stürmte und regnete in Calais, und es hieß, der Kanal sei zu unruhig und die Überfahrt müsse verschoben werden.
Jack saß hinter der Sperre auf ihrem Koffer und ärgerte sich über den Wind und den Regen, der sie vielleicht verspätet zur Jagd kommen ließ.
Aber dann fuhr man doch.
Das Schiff schaukelte und schaukelte. Über der Reling hingen die Menschen wie grüne und gelbe Mehlsäcke und verfluchten die großen Wellen, indem sie sie anspuckten.
Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte auch Jack ein komisches Gefühl in ihrer Magengegend. Sie erschrak. «Nur schnell etwas essen», dachte sie, «sonst –.»
Sie stieg die Treppe zum Speisesaal hinauf und fand einen freien Tisch an einem Bullauge. Sie setzte sich und bestellte Kaffee und heiße Würstchen. Jack hatte eine Vorliebe für heiße Würstchen. Sie bestellte sie immer, sobald sie allein war, denn ihre Bekannten lachten sie aus und neckten sie mit ihrem ordinären Geschmack. Und Jack gehörte zu den Frauen, die es nicht vertragen können, ausgelacht zu werden, obwohl sie selber herzlich gern andere Leute auslachte. Aber sehr viele, sehr empfindliche Menschen verstehen es gar nicht, auf die Empfindlichkeiten anderer Leute Rücksicht zu nehmen. Vielleicht, weil sie zu viel mit ihren eigenen zu tun haben.
Der Kaffee kam und war wie alle Kaffees, die man in England auf seinen Reisen bekommt, abscheulich. Außerdem verstärkte er nur noch das ekelhafte schwindelige Gefühl im Magen. Jack hielt krampfhaft die Luft an, als sie auf einmal drei Tische weiter den Mann entdeckte, den sie so lange im Zug gesucht hatte.
Aber in demselben Augenblick, als sie ihn sah, streikte ihr Magen. Und Jack wusste, dass es nur noch eine Frage von Minuten sein konnte, bevor auch sie auf eine höchst peinliche Art die Wellen des aufgepeitschten Kanals verfluchen musste.
Das hier vor allen Leuten, womöglich vor seinen Augen. – – –
Sie sprang hastig auf, warf fünf Schilling auf den Tisch, rannte hinaus, fiel fast die Treppe hinunter und lief in die Toilette. Während der ganzen Stunde, die die Fahrt von Calais nach Dover dauerte, hockte sie in der kleinen weißen Toilette und kämpfte einen verzweifelten Kampf gegen die Seekrankheit.
Sie achtete nicht im Geringsten auf die Leute, die an der verschlossenen Tür rüttelten und schüttelten und schimpften.
Sie tat das Dümmste, was sie in ihrer Lage nur tun konnte, aber sie hatte eben keine Erfahrung darin, wie man sich benehmen musste, wenn einen die Seekrankheit überfiel, sie öffnete das Bullauge und starrte hinaus auf das wild bewegte Wasser.
Während sie sich tapfer bemühte, dem Schlingern des Schiffes standzuhalten, dachte sie immer wieder: «Er ist hier – in Dover wird er nicht bleiben, mein Gott, er ist hier. Verdammtes Wetter! Wenn doch die Sonne schiene, dann – o pfui Teufel!»
Und sie hielt sich den Kopf mit beiden Händen.
*
In Dover lag der Nebel so tief über den Kreideklippen, dass sie wie dicke böse Wolken aussahen. Aber Jack hatte scharfe Augen und lange Beine, und sie schlenderte über das Fallreep hinab, an der Zollrevision vorbei, durch die Sperre dem großen, dunklen Manne nach, der sie nicht beachtete.
Vor dem Bahnhof hielt ein schwarz lackiertes Kabriolett.
Jetzt war Jack dem lieben Gott plötzlich für sein schlechtes Wetter dankbar. Ohne gesehen zu werden, konnte sie ihn wie ein kleiner Taschendieb verfolgen. Sie hörte, wie der Chauffeur ihn begrüßte «Guten Tag, Sir.»
«Guten Tag, Forster», antwortete der Mann mit einer Stimme, die, warm getönt, gut mit seinem dunklen Typus harmonierte.
Dann steckte etwas sehr Reizendes den Kopf aus dem Inneren des Autos und schrie: «Hallo, hallo, Michael Thomas.»
Jack sah, wie das Reizende aus dem Wagen sprang und Michael Thomas stürmisch begrüßte.