: Katrin Holland
: Magda Birkmann, Nicole Seifert
: Man spricht über Jacqueline
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644021648
: rororo Entdeckungen
: 1
: CHF 10.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kann und darf man sich für die Liebe verbiegen? Ein Lesevergnügen mit farbigem Zeitkolorit der Goldenen 20er-Jahre und die Wiederentdeckung einer schillernden Autorin! Ihre Freunde nennen sie Jack. Die Männer, mit denen sie amouröse Abenteuer hat, auch. Sie ist bezaubernd, sie ist flatterhaft, und die Herzen, die sie schon gebrochen hat, kann sie kaum zählen. Jacqueline Mamroth ist schlichtweg für ein freies Leben gemacht - bis sie Michael Thomas trifft. Er ist der erste Mann, in den sie sich ernsthaft verliebt. Er ist jedoch altmodisch, hat strenge Moralvorstellungen und mag die Frauen nur, wenn sie das genaue Gegenteil von Jack sind: unschuldig und sittsam. Da sie in Paris, London, Berlin einen gewissen Ruf hat, würde Michael sich nie in sie verlieben, wenn sie ihm offenbaren würde, wer sie ist. Jack überredet ihre schüchterne jüngere Schwester June, die Rolle von Jack anzunehmen, und gibt sich Michael gegenüber als June aus. Fortan ist sie sittsam. Sie kommen zusammen. Aber wer ist Jack nun? Und was geschieht, als die Schwester und Michael zusammentreffen? Diese in vielen Genres produktive und erfolgreiche Autorin ist eine großartige Wiederentdeckung: Dieser Roman ist seit 1930 erstmals neu aufgelegt.

Katrin Holland, geboren 1910 oder 1914 (je nach Quelle) als Heidi Huberta Freybe in Rostock, war eine deutschamerikanische Autorin. 1930 erschien die Erstausgabe von «Man spricht über Jacqueline» unter dem Pseudonym Katrin Holland beim Ullstein Verlag. 1937 emigrierte Freybe, mit einem Umweg über Italien, nach Amerika und verfasste dort unter dem Namen Martha Albrand etliche Spionage- und Mysteryromane, die auch auf Deutsch erschienen. Sie wurde mit dem Grand prix de littérature policière für ihren Roman «After Midnight» ausgezeichnet und stiftete für den P.E.N. den Martha Albrand Award. Sie starb 1981 in New York.   

4


Es stürmte und regnete in Calais, und es hieß, der Kanal sei zu unruhig und die Überfahrt müsse verschoben werden.

Jack saß hinter der Sperre auf ihrem Koffer und ärgerte sich über den Wind und den Regen, der sie vielleicht verspätet zur Jagd kommen ließ.

Aber dann fuhr man doch.

Das Schiff schaukelte und schaukelte. Über der Reling hingen die Menschen wie grüne und gelbe Mehlsäcke und verfluchten die großen Wellen, indem sie sie anspuckten.

Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte auch Jack ein komisches Gefühl in ihrer Magengegend. Sie erschrak. «Nur schnell etwas essen», dachte sie, «sonst –.»

Sie stieg die Treppe zum Speisesaal hinauf und fand einen freien Tisch an einem Bullauge. Sie setzte sich und bestellte Kaffee und heiße Würstchen. Jack hatte eine Vorliebe für heiße Würstchen. Sie bestellte sie immer, sobald sie allein war, denn ihre Bekannten lachten sie aus und neckten sie mit ihrem ordinären Geschmack. Und Jack gehörte zu den Frauen, die es nicht vertragen können, ausgelacht zu werden, obwohl sie selber herzlich gern andere Leute auslachte. Aber sehr viele, sehr empfindliche Menschen verstehen es gar nicht, auf die Empfindlichkeiten anderer Leute Rücksicht zu nehmen. Vielleicht, weil sie zu viel mit ihren eigenen zu tun haben.

Der Kaffee kam und war wie alle Kaffees, die man in England auf seinen Reisen bekommt, abscheulich. Außerdem verstärkte er nur noch das ekelhafte schwindelige Gefühl im Magen. Jack hielt krampfhaft die Luft an, als sie auf einmal drei Tische weiter den Mann entdeckte, den sie so lange im Zug gesucht hatte.

Aber in demselben Augenblick, als sie ihn sah, streikte ihr Magen. Und Jack wusste, dass es nur noch eine Frage von Minuten sein konnte, bevor auch sie auf eine höchst peinliche Art die Wellen des aufgepeitschten Kanals verfluchen musste.

Das hier vor allen Leuten, womöglich vor seinen Augen. – – –

Sie sprang hastig auf, warf fünf Schilling auf den Tisch, rannte hinaus, fiel fast die Treppe hinunter und lief in die Toilette. Während der ganzen Stunde, die die Fahrt von Calais nach Dover dauerte, hockte sie in der kleinen weißen Toilette und kämpfte einen verzweifelten Kampf gegen die Seekrankheit.

Sie achtete nicht im Geringsten auf die Leute, die an der verschlossenen Tür rüttelten und schüttelten und schimpften.

Sie tat das Dümmste, was sie in ihrer Lage nur tun konnte, aber sie hatte eben keine Erfahrung darin, wie man sich benehmen musste, wenn einen die Seekrankheit überfiel, sie öffnete das Bullauge und starrte hinaus auf das wild bewegte Wasser.

Während sie sich tapfer bemühte, dem Schlingern des Schiffes standzuhalten, dachte sie immer wieder: «Er ist hier – in Dover wird er nicht bleiben, mein Gott, er ist hier. Verdammtes Wetter! Wenn doch die Sonne schiene, dann – o pfui Teufel!»

Und sie hielt sich den Kopf mit beiden Händen.

*

In Dover lag der Nebel so tief über den Kreideklippen, dass sie wie dicke böse Wolken aussahen. Aber Jack hatte scharfe Augen und lange Beine, und sie schlenderte über das Fallreep hinab, an der Zollrevision vorbei, durch die Sperre dem großen, dunklen Manne nach, der sie nicht beachtete.

Vor dem Bahnhof hielt ein schwarz lackiertes Kabriolett.

Jetzt war Jack dem lieben Gott plötzlich für sein schlechtes Wetter dankbar. Ohne gesehen zu werden, konnte sie ihn wie ein kleiner Taschendieb verfolgen. Sie hörte, wie der Chauffeur ihn begrüßte «Guten Tag, Sir.»

«Guten Tag, Forster», antwortete der Mann mit einer Stimme, die, warm getönt, gut mit seinem dunklen Typus harmonierte.

Dann steckte etwas sehr Reizendes den Kopf aus dem Inneren des Autos und schrie: «Hallo, hallo, Michael Thomas.»

Jack sah, wie das Reizende aus dem Wagen sprang und Michael Thomas stürmisch begrüßte.