: Thomas Würtenberger, Dirk Heckmann, Steffen Tanneberger
: Polizeirecht in Baden-Württemberg
: C. F. Müller
: 9783811490864
: 1
: CHF 26.40
:
: Öffentliches Recht, Verwaltungs-, Verfassungsprozessrecht
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Neuauflage dieses Lehrbuches behandelt neben den wiederkehrenden Examensklassikern wie z.B. die Ermächtigungsgrundlagen der Polizeiverfügung (sog. Standardmaßnahmen), die Vollstreckung von Polizeiverfügungen (Zwangsmittel) oder der Ersatz von Polizeikosten, auch die Weiterentwicklungen in der polizeilichen Datenerhebung und -verarbeitung. Damit im Zusammenhang wird auch die sich in Folge von Internationalisierung des Terrorismus und Organisierter Kriminalität stellende Frage nach der Berechtigung der Polizei, bereits im Vorfeld von Gefahren mit Eingriffsmaßnahmen tätig zu werden, behandelt. Neben polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten werden auch die Ersatzansprüche des Bürgers gegen polizeiliche Maßnahmen, bspw. die Entschädigungspflicht des Nichtstörers, und die wesentlichen Begrifflichkeiten des Polizei- und Ordnungsrechts (z.B. Versammlungs- oder Störerbegriff) eingehend und verständlich erklärt. Die wesentlichen Bezüge des Polizeirechts zum Verfassungs-, allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht verdeutlichen die Strukturen. Zur gezielten Vorbereitung auf Klausuren im Polizeirecht verdienen die Abschnitte über - die Gefahrenabwehr durch die Polizei des Landes, - die Polizeiverfügung, - die Polizeiverordnung, - die Vollstreckung von Polizeiverfügungen, - Ersatzansprüche des Bürgers sowie - den Ersatz von Polizeikostenein besonderes Augenmerk. Das Kapitel zur polizeilichen Datenerhebung und -verarbeitung bietet zugleich eine Einführung in Grundfragen des Datenschutzrechts. Praxisrelevante Einzelfragen werden anhand der aktuellen Rechtsprechung (insbesondere des VGH Baden-Württemberg, des BVerwG und des BVerfG) berücksichtigt. Zahlreiche Beispielsfälle veranschaulichen das systematisch Erlernte, vergleichende Betrachtungen der polizeilichen Befugnisse in anderen Bundesländern runden die Darstellung ab. Zielgruppe des Lehrbuchs sind in erster Linie Studierende, die eine systematische und umfassende Einarbeitung in das Polizeirecht wünschen; daneben eignet es sich auch zur Wiederholung vor dem Examen.

§ 1Grundlagen


I.Die historische Entwicklung des Polizeibegriffs


Literatur:Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967;Blickle/Kissling/Schmidt (Hg), Gute Policey als Politik im 16. Jahrhundert, 2003;Harnischmacher/Semerak, Deutsche Polizeigeschichte, 1986;Knemeyer, Polizeibegriffe in den Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts, AöR 92 (1967), 153;ders, Artikel Polizei, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd 4, 1978, S. 875;Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, 2008;Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl 1980;Matsumoto, Polizeibegriff im Umbruch, 1999;Pauly, Die Entstehung des Polizeirechts als wissenschaftliche Disziplin, 2000;Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983;Schulze, Policey und Gesetzgebungslehre im 18. Jahrhundert, 1982;Stolleis (Hg), Policey im Europa der frühen Neuzeit, 1996;von Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, in: Jeserich ua, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd 1, 1983, S. 388.

1

Die Durchsetzung einerSchutz- und Friedensordnung gehört zu den zentralen Aufgaben des Staates und zu den Legitimationsgrundlagen des staatlichen Gewaltmonopols[1]. Ein gesellschaftliches Zusammenleben in Sicherheit ist gefährdet, wenn der Einzelne den Rechtskreis oder wohlerworbene Rechte seiner Mitbürger nicht beachtet, sich nicht gemeinverträglich verhält oder die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen beeinträchtigt. Die Abwehr solcher Störungen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist die Aufgabe der Polizei.

2

Der Begriff „Polizei“ – abgeleitet von dem griechischen politeia und im Deutschen seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachweisbar[2] – unterlag mit dem Wandel der verfassungsrechtlichen und politischen Bedingungen einem Bedeutungswandel. Bis in das 17. Jahrhundert verstand man unter „guter Polizey“ ganz allgemein eine gute Ordnung des Gemeinwesens. Demgemäß regelten die Reichspolizeiordnungen (1530, 1548, 1577) ebenso wie die Polizeiordnungen der Territorien und Städte die unterschiedlichsten Lebensbereiche, wie etwa die ständische Gliederung, die Berufsausübung (ua das Gesindewesen), das allgemeine Verhalten (ua das Verbot des Luxus), das Vertragswesen (ua das Verbot des Wuchers) und das Erbrecht[3].

3

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts kam es in einzelnen deutschen Territorien zur Herausbildung eines absolutistischen Staates, der ua die Förderung der „allgemeinen Wohlfahrt“ zum Staatsziel hatte. In diesenWohlfahrtsstaaten oblagen der Polizei umfassende Verwaltungsaufgaben. Diese waren – bei unterschiedlicher Akzentsetzung – auf die Gewährleistung der inneren Sicherheit, die Erhöhung der Wirtschaftskraft und auf das Wohlergehen der Untertanen („das größte Glück der größten Zahl“) gerichtet. So bezeichnete etwa der Kameralistv Justi als „Endzweck der Policey-Gesetze, die Vergrößerung der inneren Macht und Stärke“ des Staates[4] sowie die Wohlfahrt der Bürger mit dem gemeinen Besten in Einklang zu bringen[5]. Zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt, zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung und zur Verbesserung des privaten Wohls der Menschen nahm man im aufgeklärten Absolutismus diePolizeigewalt, das ius politiae, als zentral gelenkte, rechtlich nicht umgrenzte Staatsgewalt in Anspruch. Mit seiner Polizeigewalt bemühte sich der absolute Herrscher um die Durchsetzung wirtschaftspolitischer, sozialpolitischer oder bevölkerungspolitischer Programme und um eine umfassende Gestaltung der sozialen Ordnung.

4

Die Verwaltung des Wohlfahrts- bzw Polizeistaates war von einem zentralisierten Verwaltungsapparat und von einem sachkundigen Beamtentum geprägt, das sich aus dem Adel und dem kameralistisch geschulten