: Norbert Trawöger
: Bruckner! Journal einer Leidenschaft
: Residenz Verlag
: 9783701747238
: 1
: CHF 14.40
:
: Geisteswissenschaften allgemein
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine leidenschaftliche Annäherung des bekannten Musikers Norbert Trawöger an die Musik Anton Bruckners. Die Leidenschaft für Anton Bruckner hat Norbert Trawöger im zarten Alter von acht Jahren erfasst und nie wieder losgelassen. In seinem Journal erzählt er lustvoll von seinen Erfahrungen mit Bruckner und seiner Musik, warnt davor, Schöpfer und Werk zu verwechseln - auch wenn sie in manchem zum Verwechseln ähnlich sind -, stößt dabei auf Schildkröten, Songs wie 'Seven Nation Army', einen gefeierten Rockstar, schwimmende Orgeln oder einen frommen Extremisten. Vor allem aber führt seine Expedition in Riesenhöhlen von symphonischen Ausmaßen. Trawöger ist ein inspirierender Entstauber, zieht Verbindungen ins Jetzt, teilt seine ewige Begeisterung für das Wunder der Musik und erinnert daran, dass Kunst ein unverzichtbarer Begleiter unseres Menschseins ist.

Norbert Trawöger geboren 1971 in Wels, ist spielender, lehrender, schreibender und gestaltender Musiker und Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz sowie Künstlerischer Leiter der ersten oberösterreichischen KulturEXPO 'Anton Bruckner 2024'. 2010 erschien seine Biografie über den Komponisten Balduin Sulzer, 2022 sein Essay 'Spiel'. www.eNTe.me

Der unfassbare Brückenbauer


Hochwohlgeborener Herr Doctor Bruckner!

Darf ich so frei sein, Hochdenselben anzuschreiben, auch wenn ich den Tonfall gleich wieder verlasse, den Sie brieflich angewandt hätten, ganz Ihrer Zeit gemäß und doch anders, wie wenn wir miteinander sprächen: Wir hätten uns vermutlich gleich an unserem Dialekt erkannt. Ich trage ihn auch auf meiner oberösterreichischen Haut. Wie Sie.

Einen Brief an einen Toten zu verfassen, ist eine eigenartige Sache, aber mir ist danach, da ich mich Ihnen schon fast zeit meines Lebens immer wieder zuwende. Meine Zuwendung gründet in Ihrer Musik, die mich in einem Alter ergriffen hat, in dem Sie vermutlich schon fest auf der Ansfeldner Orgel experimentiert haben. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mir eine persönliche Begegnung mit Ihnen wünschen würde. Meine viel zu späte Geburt hält uns ohnehin auf Distanz, und ich finde, das ist gut so.

»Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde«, steht in der Bibel. Ich denke, mit Bibelworten können Sie etwas anfangen, und ein Treffen mit Ihnen würde mir einen Eindruck machen, den ich nicht mehr loswerde. Viel lieber nähere ich mich Ihnen von vielen Seiten an, der Eindrücke wegen. Wenn ich Ihre Musik höre, lieber Herr Doctor, glaube ich zu wissen, dass Sie die Vielheit lieben. Mag sein, dass Sie von einem Kern, einem Motiv ausgehen, aber Sie verstehen sich auf musikalische Kernspaltung, mindestens für eine Ihrer Sinfonien lang, von denen kaum jemand längere als Sie geschaffen hat. Eineinhalb Stunden Kernspaltung zur Schaffung eines Weltraums sind Ihnen bei Gott nicht fremd. Es mag kein Zufall sein, dass Ihr ehemaliger Klavierschüler Ludwig Boltzmann ein visionärer Physiker geworden ist, ein Wegbereiter der Quantenphysik, ein Verfechter der Atomistik.

Wie schreibt Demokrit: »Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.