: Michael Connelly
: Vergessene Stimmen Der elfte Fall für Harry Bosch
: Kampa Verlag
: 9783311704966
: Ein Fall für Harry Bosch
: 1
: CHF 11.70
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jahrzehntelang blieb der Mord an Rebecca Lost ungeklärt. Bis Harry Bosch nach einer dreijährigen Auszeit zum LAPD zurückkehrt. In die Abteilung für Cold Cases versetzt, wird Bosch und seiner Partnerin Kiz Rider als Erstes der Fall aus dem Jahr 1988 vorgelegt. Seither hat die Kriminalistik entscheidende Fortschritte gemacht: Die Spuren auf der Tatwaffe werden erneut untersucht, und ein DNA-Abgleich führt die beiden Ermittler zu Roland Mackey, einem vorbestraften Kleinkriminellen. Hat er die erst sechzehnjährige Becky keine 500 Meter von ihrem Elternhaus entfernt erschossen? Liegt der Tat ein rassistisches Motiv zugrunde? Harry Bosch zweifelt an Mackeys Schuld. Je weiter seine Ermittlungen voranschreiten, desto größer wird der Widerstand in den eigenen Reihen. Und bald schon kommen menschliche Abgründe ans Licht, die Bosch bis ins Mark erschüttern.

Michael Connelly ist mit über 89 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen einer der US-amerikanischen Krimi-Superstars. 1956 geboren, wuchs er in Florida auf, wo er als Journalist arbeitete, bis ihn die Los Angeles Times als Gerichtsreporter in die Stadt holte, in der sein literarisches Idol Raymond Chandler seine Romane spielen ließ, was Connelly ihm später gleichtun sollte. Im Kampa Verlag erscheinen neben den Fällen des legendären Ermittlers Harry Bosch und der Nachtschicht-Detective Rene?e Ballard auch Connellys Romane mit Jack McEvoy und Michael »Mickey« Haller. Connelly lebt in Kalifornien und in Florida.

Erster TeilDie blaue Religion


1


In Praxis und Dienstordnung des Los Angeles Police Department ist ein Zwei-Sechser der Anruf, der die prompteste Reaktion nach sich zieht und zugleich die meiste Angst unter der kugelsicheren Weste weckt. Es ist ein Anruf, von dem häufig eine Karriere abhängt. Die Bezeichnung ist eine Kombination aus einem Code-2-Funkspruch, was »schnellstmöglich reagieren« bedeutet, und dem sechsten Stock des Parker Center, von dem aus der Polizeichef das Police Department leitet. Ein Zwei-Sechser ist also ein dringender Anruf aus dem Büro des Polizeichefs, und jeder Polizist, dem sein Platz bei der Polizei lieb ist, wird ihm umgehend nachkommen.

Detective Harry Bosch war während seiner ersten Dienstzeit über fünfundzwanzig Jahre beimLAPD gewesen, ohne einen solchen Anruf des Polizeichefs erhalten zu haben. Abgesehen von der Abschlussfeier an der Polizeiakademie, bei der er1972 seine Dienstmarke überreicht bekam, hatte er auch keinem Polizeichef mehr die Hand geschüttelt oder mit einem gesprochen. Er hatte mehrere von ihnen überdauert – und sie natürlich bei Polizeiveranstaltungen und -begräbnissen gesehen –, aber er hatte in dieser ganzen Zeit mit keinem mehr persönlich zu tun gehabt. Er erhielt seinen ersten Zwei-Sechser an dem Morgen, an dem er nach dreijähriger Pensionierung in den Polizeidienst zurückkehren sollte und sich gerade vor dem Badezimmerspiegel die Krawatte band. Es war ein Adjutant des Polizeichefs, der Bosch auf seinem privaten Mobiltelefon anrief. Bosch fragte erst gar nicht, woher er die Nummer hatte. Es verstand sich von selbst, dass das Büro des Polizeichefs die entsprechende Macht hatte, derlei Erkundigungen einzuziehen. Bosch sagte, er werde spätestens in einer Stunde da sein, worauf der Adjutant erwiderte, er werde früher erwartet. Bosch band sich die Krawatte im Auto zu Ende, als er auf dem Freeway101, so schnell es der Verkehr zuließ, in die Stadt fuhr.

Von dem Moment an, in dem er das Gespräch mit dem Adjutanten beendet hatte, brauchte Bosch genau vierundzwanzig Minuten, bis er durch die Flügeltür der Chefsuite im sechsten Stock des Parker Center marschierte. Das war Rekordzeit, selbst wenn er in der Los Angeles Street vor dem Polizeipräsidium verkehrswidrig geparkt hatte. Wenn sie seine private Handynummer wussten, wussten sie sicher auch, was für eine Glanzleistung es war, es unter einer halben Stunde aus den Hollywood Hills ins Büro des Polizeichefs zu schaffen.

Doch der Adjutant, ein Lieutenant namens Hohman, starrte ihn mit desinteressiertem Blick an und deutete auf eine Couch mit Plastikbezug, auf der bereits zwei andere Männer warteten.

»Sie sind spät dran«, sagte er. »Nehmen Sie Platz.«

Um die Sache möglicherweise nicht noch schlimmer zu machen, beschloss Bosch, nicht zu protestieren. Er ging zu der Couch und setzte sich zwischen die zwei Männer in Uniform, die die Armlehnen in Beschlag genommen hatten. Sie saßen kerzengerade da und unterhielten sich nicht. Er nahm an, dass sie ebenfalls einen Zwei-Sechser erhalten hatten.

Zehn Minuten vergingen. Die Männer neben Bosch wurden vor ihm aufgerufen und beide jeweils in exakt fünf Minuten vom Polizeichef abgefertigt. Als der zweite Mann im Büro des Chief war, bildete Bosch sich ein, laute Stimmen aus dem Allerheiligsten zu hören, und als der Mann herauskam, war er kreidebleich. Offensichtlich hatte er in den Augen des Chief in irgendeiner Form Scheiße gebaut, und soviel während seiner Pensionierung zu Bosch durchgedrungen war, nahm es de