: Michael Connelly
: Die Rückkehr des Poeten Der zehnte Fall für Harry Bosch
: Kampa Verlag
: 9783311704959
: Ein Fall für Harry Bosch
: 1
: CHF 11.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 512
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eigentlich sieht alles nach einem natürlichen Tod aus. Dennoch bittet die Witwe des Ex-Polizisten Terry McCaleb Harry Bosch, Nachforschungen anzustellen. Die Hinweise führen Bosch nach Nevada, wo er auf FBI-Agentin Rachel Walling trifft. Eine Nachricht des seit Jahren tot geglaubten »Poeten«, einem Serienmörder, der Gedichtzeilen von Edgar Allan Poe an den Tatorten hinterließ, hat sie hierher verschlagen, zu einem Massengrab in der Mojave-Wüste gleich hinter der kalifornischen Grenze. Die beiden Außenseiter tun sich zusammen: Walling, die beim FBI in Ungnade gefallen ist, nachdem sie den Poeten zwar angeschossen hat, er aber entkommen konnte, und Bosch, der als Privatdetektiv ermittelt, dem ohne Dienstmarke aber mitunter die Hände gebunden sind. Beide Ermittler glauben, dem hochintelligenten Serienkiller dicht auf den Fersen zu sein. Aber für den Poeten gelten nur seine eigenen Regeln, und er hat noch eine Rechnung mit Walling offen ...

Michael Connelly ist mit über 89 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen einer der US-amerikanischen Krimi-Superstars. 1956 geboren, wuchs er in Florida auf, wo er als Journalist arbeitete, bis ihn die Los Angeles Times als Gerichtsreporter in die Stadt holte, in der sein literarisches Idol Raymond Chandler seine Romane spielen ließ, was Connelly ihm später gleichtun sollte. Im Kampa Verlag erscheinen neben den Fällen des legendären Ermittlers Harry Bosch und der Nachtschicht-Detective Rene?e Ballard auch Connellys Romane mit Jack McEvoy und Michael »Mickey« Haller. Connelly lebt in Kalifornien und in Florida.

4


Mein erstes Gespräch hatte ich in der Cabrillo Marina in San Pedro. Ich kam immer wieder gern auf diesem Weg ans Meer hinunter, tat es aber selten. Warum, weiß ich nicht. Es war eins dieser Dinge, die man vergisst, bis man sie wieder macht, und dann erinnert man sich, dass sie einem gefallen. Das erste Mal, als ich dort unten ans Meer kam, war ich ein sechzehnjähriger Ausreißer. Ich kam zum Hafen von San Pedro hinunter und verbrachte die Tage damit, mich tätowieren zu lassen und die einlaufenden Thunfisch-Boote zu beobachten. Die Nächte verbrachte ich damit, in einem Schlepper zu schlafen, der Rosebud hieß und nicht abgeschlossen war. Bis mich ein Hafenmeister erwischte und ich zu meinen Pflegeeltern zurückgeschickt wurde, die WorteHold fast auf meine Knöchel tätowiert.

Die Cabrillo Marina war jünger als diese Erinnerung. Das war nicht der Industriehafen, in dem ich vor so vielen Jahren gelandet war. Inzwischen bestand die Cabrillo Marina aus Liegeplätzen für Sportboote. Mit den Masten Hunderter Segelboote, die hinter ihren verschlossenen Toren aufragten, sah sie aus wie ein Wald nach einem Buschbrand. Dahinter kamen Reihen von Motorjachten, viele davon mehrere Millionen Dollar wert.

Einige nicht. Buddy Lockridges Boot war kein schwimmendes Schloss. Lockridge, der, wie Graciela McCaleb mir gesagt hatte, der Charterpartner und am Ende der beste Freund ihres Mannes gewesen war, lebte auf einem Zehn-Meter-Segelboot, das aussah, als hätte es den Inhalt eines Zwanzig-Meter-Boots auf Deck. Es war ein richtiger Müllklipper, nicht wegen seiner Eigenschaften als Boot, sondern wegen seines Zustands. Hätte Lockridge in einem Haus gewohnt, hätte es im Garten aufgebockte Autos und im Innern Wände aus Zeitungsstapeln gehabt.

Er hatte mir mit dem Türöffner das Tor aufgemacht und kam in Shorts, Sandalen und T-Shirt aus der Kajüte. Das T-Shirt war so oft getragen und gewaschen, dass der Schriftzug auf der Brust nicht mehr lesbar war. Graciela hatte ihm telefonisch Bescheid gesagt. Er wusste, dass ich mit ihm sprechen wollte, aber nicht genau, weshalb.

»So«, sagte er, als er vom Boot auf den Anleger stieg. »Graciela sagte, Sie stellen wegen Terrys Tod Nachforschungen an. Ist das so eine Versicherungsgeschichte, oder was?«

»Ja, so könnte man es nennen.«

»Sind Sie so ’n Privatdetektiv, oder was?«

»So was Ähnliches, ja.«

Er wollte einen Ausweis sehen, und ich zeigte ihm die eingeschweißte Brieftaschenkopie der Lizenz, die ich aus Sacramento geschickt bekommen hatte. Als er meinen offiziellen Vornamen sah, zog er fragend eine Augenbraue hoch.

»Hieronymus Bosch. Wie dieser verrückte Maler, hm?«

Es kam selten vor, dass jemand den Namen kannte. Das verriet mir etwas über Buddy Lockridge.

»Einige finden, er war verrückt. Andere meinen, er sah sehr genau die Zukunft voraus.«

Die Lizenz schien seine Bedenken auszuräumen, und er schlug vor, wir könnten entweder auf seinem Boot reden oder auf eine Tasse Kaffee zum Hafenshop rübergehen. Eigentlich wollte ich einen Blick in sein schwimmendes Heim werfen – das war ein wichtiges Ermittlungsprinzip –, aber damit es nicht so offensichtlich wäre, sagte ich ihm, ich könnte etwas Koffein vertragen.

Der Hafenshop war ein Laden für Schiffsbedarf, zu dem es von Buddys Liegeplatz zu Fuß etwa fünf Minuten waren. Wir unterhielten uns auf dem Weg dorthin über alles Mögliche, und hauptsächlich hörte ich mir Buddy Lockridges Klagen darüber an, wie er in dem Film dargestellt worden war, der von McCalebs Herztransplantation und der Jagd nach dem Mörder seiner Spenderin handelte.

»Aber Sie haben doch Geld dafür gekriegt, oder nicht?«, sagte ich, als er fertig war.<