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Es war kleiner als das Deckblatt eines Personalausweises, hellgrau, schwarz liniert und dünn wie Löschpapier. Die Nachricht war als Streifen aus dem Fernschreiber gekommen, in Teile von passender Länge geschnitten und auf dieses Blatt geklebt worden. Nun war die Schrift verwischt, weil das Telegramm dem Fahrer, der es vom fünfzehn Kilometer weit entfernten Postamt in diesen verlorenen Winkel der Steppe befördert hatte, aus der Hand und auf die vom Regen durchnässte Erde gefallen war. Der Mann, ein korpulenter Kasache in mittleren Jahren, brummte verdrießlich eine Entschuldigung, lehnte sich mit dem Rücken gegen das linke Hinterrad seines Traktors und zündete sich eine Zigarette an. Während er rauchte, versanken seine Stiefel ganz langsam im Schlamm.
Die Nachricht war zwar nass und schmutzig, aber immer noch lesbar. Sie lautete:Vater schwer krank. Komm rasch! Rückreise von Hochschule bewilligt. Mutter.
Ich wurde blass und ließ mich auf die Trittstufe des Traktors fallen, weil es sonst nichts gab, wo ich mich hätte hinsetzen können. »Krank?«, flüsterte ich leise und rief dann laut, nach einer Schrecksekunde: »Aber was? Was hat er? Wieso schreibt sie das nicht?«
»Genau. Was soll das heißen, Lina?« Meine Freundin Olga hatte mir über die Schulter geschaut und mitgelesen.
Ich drehte das Blatt um, schaute auf die Rückseite und hielt es gegen das Licht, als würden si