Same same but different
Die letzten Ausführungen deuten auf einen Aspekt hin, den man auch als Wesenszug von Sprache beschreiben kann: Variation. Nicht nur gibt es verschiedene Sprachen, sondern auch einzelne Sprachen verändern sich, sowohl in der Zeit – wir sprechen dann von Sprachwandel – als auch zwischen verschiedenen Situationen und Kontexten. Ein und dieselbe Sprache wie etwa das Deutsche wird zum Beispiel in Abhängigkeit vom Ort oder vom Alter der Sprechenden ganz unterschiedlich gesprochen und geschrieben.10 Es mag freilich Dialekte geben, die sich so sehr von der Standardsprache unterscheiden, dass man sie als eigene Sprache bezeichnen kann. Doch nehmen wir so etwas wie das im Alltag oft so genannte Beamtendeutsch, in dem ein Baum nicht Baum, sondern »raumübergreifendes Großgrün« genannt wird. Das ist zweifellos Deutsch und folgt doch eigenen Regeln in Sachen Wortbildung, Bedeutung und Gebrauch. Und dass manim Klassenzimmer während des Unterrichts anders Deutsch spricht alsvor dem Klassenzimmer in der Pause, dürften alle noch aus ihrer Schulzeit in Erinnerung haben.
Der Sprach- und Literaturwissenschaftler Harald Weinrich hat das einmal in einem wunderbaren Buchtitel so auf den Punkt gebracht: »Sprache, das heißt Sprachen«11. Das gilt für Sprache allgemein, denn es gibt eben sehr viele verschiedene Sprachen – dem Mythos zufolge seit dem Turmbau zu Babel. Derzeit finden wir auf der Welt rund7000 lebende, das heißt von Muttersprachler:innen gesprochene Sprachen.12 Es gilt aber auch für jede einzelne Sprache, denn auch diese fächert sich sozusagen auf in verschiedene Dialekte und Register.
Dialekte kennen wir alle, Register verbinden vermutlich die wenigsten mit Sprachwissenschaft. Wir werden uns diesen Begriff später noch genauer anschauen, fangen wir erst einmal mit den Dialekten an. Wir verstehen darunter normalerweise für bestimmte Regionen typische Ausprägungen einer Sprache. Wie die Alternativbezeichnung Mundart andeutet, werden Dialekte vor allem gesprochen und nur selten und in sehr spezifischen Kontexten wie etwa der Dichtung auch geschrieben. Und mehr noch: Dialekte werden oft nur in informellen Kontexten gesprochen. Ein Vorstellungsgespräch auf Alemannisch oder auf Saarländisch (wissenschaftlich korrekt müsste man eigentlich Moselfränkisch oder Rheinfränkisch sagen) ist selbst dann eher unwahrscheinlich, wenn die Personalerin und der Bewerber in ihren Familien oder im Sportverein Dialekt sprechen. Das heißt aber auch: Selbst Personen, die im Privaten Dialekt sprechen, können oft ins Hochdeutsche wechseln, wenn die Situation es verlangt. Klar, ein gewisser Akzent in der Aussprache bleibt oft, nicht umsonst kokettieren die Schwaben sogar in einer Werbekampagne des Landes Baden-Württemberg damit, dass sie alles können – außer Hochdeutsch.1 Aber zumindest die standarddeutsche Grammatik wird von den allermeisten Schwaben beherrscht, im Gesprochenen und im Geschriebenen natürlich erst recht.
Dass wir als Deutschsprechende so mühelos zwischen verschiedenen Arten des Deutschen wechseln können, je nachdem, was in der Situation gerade angemessen ist, fassen wir in der Linguistik mit dem Begriff Register. Der kommt eigentlich aus dem Orgelspiel. Da nennt man die einzelnen Pfeifensätze so, die man mit kleinen Knöpfen zum Ziehen ein- oder ausschalten und so den Klang der Orgel gezielt verändern kann. Große Orgeln haben über hundert Register, manche klingen fein und zart, andere dumpf und tief, wiederum andere massiv und strahlend. Und wenn wir »alle Register ziehen«, wie man auch sprichwörtlich sagt, dann holen wir aus der Orgel das Maximum an Lautstärke und Klangvolumen heraus. Sprachliche Register kann man zwar nicht alle auf einmal ziehen, wir müssen uns entscheiden. Aber uns stehen in der Sprache ebenfalls verschiedene Register zur Verfügung, und wir können zwischen ihnen hin und her wechseln, um passend zur Situation zu sprechen und zu schreiben. Was in informellen Situationen wie einem Plausch mit Freunden im Café angemessen ist, ist in einer formellen Situation wie einer Kontoeröffnung in der Bank womöglich völlig fehl am Platz. Und umgekehrt! Wer sich in einem privaten Gespräch zu formell ausdrückt, wird negativ auffallen, und wer in einem WhatsApp-Chat tunlichst auf regelkonforme Rechtschreibung und Interpunktion achtet, gerät leicht in den Verdacht, entweder ein Pedant oder ein Boomer zu sein.13
Die Wahl des geeigneten Registers hat nicht zuletzt etwas mit den anderen Personen zu tun, an die ich mich richte. Mit mi