Prolog
Die Südliche See
Im Jahr33154
Arbogast war ein erfahrener Kapitän.
Im Lauf der beinahe vierzig Winter, die er bereits zur See fuhr, hatte er schon viele Stürme erlebt und mehr als einmal dabei um sein Schiff und alle Kreaturen an Bord fürchten müssen … doch noch niemals zuvor waren seine Leute und er den Gewalten des Meeres derart schutzlos ausgeliefert gewesen wie dieses Mal.
Ganze zwei Tage lang hatte der Orkan gewütet.
Gleißende Blitze waren aus dem Himmel herabgefahren, als wollten sie das Meer zerteilen, heulende Winde hatten Wellen aufgetürmt, die bis zur obersten Mastspitze reichten – nur um im nächsten Moment wieder einzustürzen und abgrundtiefe Schlünde zu öffnen, die das Schiff und seine Mannschaft um ein Haar verschlungen hätten. Schwarze Fluten waren über das Deck geschwappt, vier brave Seeleute hatten sie mit sich in den Tod gerissen, ein weiterer war gegen den Mastbaum geschleudert und zerschmettert worden.
Mehrmals hatte es so ausgesehen, als würde dies die letzte Fahrt des Schlangenfängers werden, und das, obwohl zunächst alles so gut verlaufen war …
Auf ihrer Fahrt entlang der Südroute hatten Arbogast und seine Leute reiche Beute gemacht, doch das meiste davon war nun verloren. Im Angesicht des drohenden Untergangs war ihnen keine Wahl geblieben, als einen Teil der wertvollen Fracht über Bord zu kippen, doch trotz dieses schmerzhaften Opfers hatte es danach ausgesehen, als würde die Tiefe das Schiff verschlingen. Mit der Kraft der Verzweiflung hatten Arbogast und seine Männer gegen den Wind und die tosenden Wellen angekämpft, und irgendwann hatte der Sturm nachgelassen … und schließlich aufgehört. Und als wollte die Natur Arbogast und seine Männer verhöhnen, lag die See seither völlig still.
Von einer leichten Strömung abgesehen, in der das Schiff dahintrieb, schlagseitig und seit dem Sturm seines Großmasts beraubt, herrschte völlige Flaute.
Nicht länger gab es Wellen, die sich zu Bergen türmten, keine Gischt, die um den Bug schäumte, keine Dünung, die das Schiff wiegte. Bleischwer lag sein Rumpf im Wasser, das nun dickflüssig und zäh anmutete. Was von Mast und Rahe übrig war, reckte sich einem Totengerippe gleich in den fahlblauen Himmel.
Nachdem zwei Tage lang der Sturm gebrüllt und das Tosen der See die Männer fast um den Verstand gebracht hatte, war es nun totenstill. Das Knarren von Tauen und Planken, sonst immerwährender Begleiter bei Tag und bei Nacht, war verstummt, und wenn doch einmal ein Laut zu vernehmen war, dann schien es, als stoße das Schiff stöhnende Laute aus, gleich einem zu Tode Verwundeten, Vorboten eines Grauens, das niemand an Bord benennen wollte und das doch jeder fürchtete.
Seeleute waren an sich schon ein abergläubisches Völkchen, doch auf Schlangenfänger traf dies in besonderem Umfang zu. Und so verbreiteten sich bereits Gerüchte, dass die Fahrt ins Südmeer unter einem schlechten Stern stünde, das Schiff verflucht sei, und noch andere mehr. Gerüchte, die Arbogast zu übergehen versuchte … so gut es sich eben machen ließ.
Zwar waren Zwerge, die zur See fuhren, seit den Tagen Winmars des Schrecklichen keine Seltenheit mehr. Doch es wäre niemandem von ihnen – nicht einmal Arbogast selbst – eingefallen, Wellen und Meer ihr angestammtes Terrain zu nennen. Und so musste ein Zwergenkapitän sich stets mehr als jeder andere Kommandant bewähren, hatte zu jeder Zeit die Übersicht zu behalten und durfte keine Fehlentscheidung treffen. Denn der Zweifel haftete ihm ebenso an wie seine gedrungene Gestalt und der verfilzte rote Bart, der in Arbogasts Gesicht wucherte.
Wie alle Besatzungen, die auf Seeschlangenfängern fuhren, war auch Arbogasts Mannschaft ein bunter Haufen: Ein Schiffskoch und ein Zimmermann gehörten dazu, wie er selbst Söhne Winmars, aber auch eine Handvoll Menschen und ein paar Orks, die sich aus dem Schwarzgebirge irgendwie auf die Planken seines Schiffes verirrt hatten. Arbogast war es gleich, wie hässlich ihre grünen Visagen waren oder wie sehr sie stanken, wenn sie schwitzten … solange sie nur ordentlich arbeiteten.
Sogar ein Troll befand sich in seiner Mannschaft. An den meisten Tagen war der riesige Kerl, der auf den Namen Trunk hörte, an Bord so nützlich wie eine leere Miesmuschel und fiel allenfall