Montag,10. Mai
»Was in aller Welt hattest du denn am Wochenende beim Job zu suchen? Findest du nicht, dass wir auch so schon genug malochen müssen?«
Polizeijurist Håkon Sand stand in der Tür. Er trug neue Jeans und ausnahmsweise einmal Jackett und Schlips. Das Jackett war ein wenig zu groß, der Schlips eine Spur zu breit, aber Håkon sah trotzdem ganz brauchbar aus. Abgesehen von der Länge der Jeans. Hanne Wilhelmsen konnte sich nicht zurückhalten; sie hockte sich vor ihn und klappte schnell die überflüssigen zehn Zentimeter nach innen, wodurch sie unsichtbar wurden.
»Du darfst sie nicht nach außen umschlagen«, sagte sie freundschaftlich und erhob sich. Sie strich ihm in einer leichten, fast liebevollen Geste über den Ärmel. »So, jetzt siehst du ganz toll aus. Musst du ins Gericht?«
»Nein«, sagte der Polizeijurist, der trotz der vertraulichen Geste verlegen geworden war, als seine Kollegin ihn auf seine mangelhafte Eleganz hingewiesen hatte. Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, dachte er, sagte aber etwas anderes.
»Ich bin gleich nach der Arbeit zum Essen verabredet. Aber du, weshalb warst du gestern hier?«
Ein hellgrüner Umschlag schwebte durch die Luft und landete elegant auf Hanne Wilhelmsens Schreibunterlage.
»Den habe ich gerade reingekriegt«, sagte er. »Komische Kiste. Kein Wort von zerlegten Menschen oder Tieren in unserem Bezirk.«
»Ich hab’ eine Extraschicht bei der Bereitschaft eingelegt«, erklärte sie und ließ den Umschlag unberührt liegen. »Die haben da im Moment zu viele Krankheitsfälle.«
Der Polizeijurist, ein ziemlich gut aussehender Mann mit dunklem Teint und graueren Schläfen, als seine fünfunddreißig Jahre hätten erwarten lassen, ließ sich in den Besuchersessel fallen. Er nahm die Brille ab und putzte sie mit seinem Schlipszipfel. Die Brille wurde kaum sauberer, der Schlips jedoch war danach um einiges mehr zerknittert.
»Der Fall liegt jetzt bei uns. Wenn es einer ist. Kein Opfer, niemand hat was gehört, niemand hat was gesehen. Komisch. Es sind ein paar Bilder dabei.«
Er zeigte auf den Umschlag.
»Die brauche ich nicht, danke«, sagte sie abwehrend. »Ich war ja da. Und es hat wirklich nicht besonders schön ausgesehen. Aber weißt du«, fügte sie hinzu und beugte sich vor. »Wenn das alles Menschenblut war, dann müssen dort zwei oder drei Leute umgebracht worden sein. Ich glaube eher, dass uns da ein paar Rotzbengels einen Streich spielen wollen.«
Diese Theorie wirkte durchaus nicht unwahrscheinlich. Es war das schlimmste Jahr, das die Osloer Polizei je hatte durchmachen müssen. Innerhalb von sechs Wochen war die Stadt von drei Morden heimgesucht worden, von denen mindestens einer wohl niemals aufgeklärt werden würde. Im selben Zeitraum waren nicht weniger als sechzehn Vergewaltigungen angezeigt worden, sieben davon hatten die Medien ausgiebig dargestellt. Dass eines der Opfer eine Abgeordnete der Christlichen Volkspartei war – sie war auf dem Heimweg von einer nächtlichen Ausschusssitzung im Schlosspark brutal überfallen worden –, konnte den Zorn der Allgemeinheit über den ausbleibenden Fahndungserfolg der Polizei nun wirklich nicht verringern. Mit großzügiger Unterstützung durch die Boulevardpresse protestierten nun die Bürger der Stadt wutschnaubend gegen die scheinbare Handlungs