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Eine grausame Begegnung
Der Frühling war endlich nach Oath gekommen, aber selbst die Flut der Sonnenstrahlen konnte den Frost in Iris Winnows Knochen nicht schmelzen. Sie wusste, dass ihr jemand folgte, als sie durch das geschäftige Treiben in der Broad Street hastete, über Straßenbahnschienen und abgewetztes Kopfsteinpflaster. Sie widerstand der Versuchung, einen Blick nach hinten zu werfen, und schob stattdessen die Hände in die Taschen ihres Trenchcoats, als sie über einen Streifen Unkraut schritt, das aus den Rissen im Pflaster wuchs.
Der Mantel war erst drei Tage alt und roch noch immer wie der Laden, in dem Iris ihn gekauft hatte – ein Hauch von Rosenparfüm, schwarzem Tee und polierten Lederbrogues. Die Tage wurden zu warm, um ihn auf dem Weg zur und von der Arbeit wirklich zu benötigen. Aber sie stellte fest, dass sie den Mantel gerne um die Taille geschnallt trug, als wäre er eine Rüstung.
Sie schauderte, als sie sich durch die Menschenmenge vor einer Bäckerei schlängelte. Hoffte, dass ihr Verfolger sie in dem Gewühl der Leute, die ihre Morgenbrötchen kauften, aus den Augen verlieren würde. Sie fragte sich, ob es Forest war, der ihr nachlief. Bei diesem Gedanken fühlte sie sich sofort besser und dann noch viel schlechter. Er hatte so etwas schon einmal getan, damals in Avalon Bluff. Tatsächlich hatte er sietagelang beobachtet und auf den richtigen Augenblick gewartet, um aufzutauchen. Ihr wurde immer noch übel bei der Erinnerung daran.
Iris konnte es keinen Moment länger aushalten. Sie warf einen Blick über die Schulter, wobei der Wind ihr ein paar Haarsträhnen ins Gesicht wehte.
Ihr älterer Bruder war nicht zu sehen, aber er war auch nicht mehr der fröhliche, liebevolle Mensch, der er gewesen war, bevor er sich für Envas Sache eingesetzt hatte. Nein, der Krieg hatte Spuren hinterlassen, er hatte ihn gelehrt, wie man sich in Schützengräben bewegte, ein Gewehr abfeuerte und sich über Niemandsland in feindliches Gebiet schlich. Der Krieg hatte tiefe Wunden bei ihm geschlagen. Und wenn ihr Forest heute Morgen folgte, dann bedeutete das, dass er immer noch an ihr zweifelte.
Er glaubte weiterhin, dass sie fliehen und ihn und Oath ohne ein Wort des Abschieds zurücklassen würde.
Ich möchte, dass du mir vertraust, Forest.
Iris schluckte und beeilte sich, ihren Weg fortzusetzen. Sie kam an dem Gebäude vorbei, in dem sie einst bei derOath Gazette gearbeitet hatte, in dem sie dort im fünften Stock Roman zum ersten Mal getroffen und ihn für einen arroganten Snob der Oberschicht gehalten hatte. Der Ort, an dem ihre Worte zum ersten Mal ihren Platz in der Zeitung gefunden hatten, an dem sie dem Nervenkitzel der Berichterstattung verfallen war.
Iris ging an den schweren Glastüren vorbei und betastete den Ring an ihrem vierten Finger. Sie bog in eine ruhigere Seitenstraße ein und lauschte auf das Geräusch von Schritten hinter ihr. Doch die Straßenbahnglocken und die Händler an den Straßenecken waren zu laut. Dennoch wagte sie es, eine Abkürzung durch eine Gasse zu nehmen.
Es war eine seltsame, unübersichtliche Gasse, die die meisten Fahrzeuge nicht befahren konnten, ohne sich einen Seitenspiegel abzustoßen. Eine kopfsteingepflasterte Straße, in der man die Magie noch immer spüren konnte, wenn man bestimmte Schwellen überschritt oder den Glanz in manchen Fenstern betrachtete oder durch einen Schatten trat, der nie verblasste, egal wie hell die S