: Thomas Brezina
: Sisis Nacht inkognito
: Edition A
: 9783990016909
: 1
: CHF 13.50
:
: Historische Kriminalromane
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein brutaler Mord schockt Wien. In seinem Ringstraßenpalais wird Baron von Schnabel erschlagen und erstochen aufgefunden. In der Hofburg ist Sisi fassungslos. Der Tote hält ihren Fächer in der Hand. Kurz darauf erhält Sisi anonyme Briefe, die den Ruf der Kaiserin zu ruinieren drohen ...

Thomas Brezina, bekannt fu?r seine mehr als 580 Kinderbu?cher, die in 40 Ländern gelesen werden, schreibt seit 2017 Romane und Ratgeber fu?r Erwachsene, die alle die Bestsellerlisten stu?rmen. »Sisis Nacht inkognito« ist der dritte Fall von Kaiserin Elisabeth.

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»Deine Fantasie geht schon wieder einmal mit dir durch, wie früher, als du noch ein Kind warst«, schalt sich Hofdame Ida im Stillen. Die Kaiserin konnte mit dem, was Ida in der Zeitung gelesen hatte, nichts zu tun haben.

Immer wieder sagte sich Ida das leise vor, während sie die Adlerstiege zu Elisabeths Appartement hinaufging. Ihr Schritt war bedächtiger, nicht so federnd und schnell wie sonst. Sie überlegte fieberhaft, wie sie am taktvollsten vorgehen konnte.

Um Rat fragen konnte sie niemanden am Hof. Es gab zu viele, die Elisabeth noch immer nicht die Achtung entgegenbrachten, die sie als Kaiserin verdiente. Sie wäre für diese Aufgabe weder geeignet, noch wäre sie gewillt, ihre Verpflichtungen ernst zu nehmen. Diese Meinung herrschte selbst in Teilen der kaiserlichen Familie.

Nein, niemand durfte von dem möglichen Zusammenhang erfahren, den Ida entdeckt hatte. Wahrscheinlich ahnte auch niemand außer ihr etwas davon. Als enge Vertraute der Kaiserin wusste Ida mehr als alle anderen.

Als sie den Eingang zu den Gemächern der Kaiserin erreichte, zögerte Ida. Sie öffnete die gefaltete Zeitung, die sie in der Hand trug, blätterte auf Seite drei und starrte auf die Berichte aus dem Wiener Polizeianzeiger. Die Hofdame konnte die Zeilen mittlerweile auswendig, so oft hatte sie sie bereits gelesen. Trotzdem wanderten ihre Augen erneut darüber, als würde sie hoffen, die Wörter hätten sich in der Zwischenzeit zu neuen Sätzen angeordnet.

Ida spürte die Verpflichtung, Elisabeth zu berichten, was in der Zeitung stand, doch fürchtete sie auch die Reaktion der launischen Kaiserin.

In den letzten Wochen schwankte die Stimmung der Kaiserin von fröhlich und schwärmerisch bis unwirsch, verschlossen und niedergeschlagen. Gründe dafür hatte Elisabeth Ida aber nicht anvertraut und Ida hatte auch keine herausfinden können.

Insgeheim quälte sie die Frage, ob Elisabeth vielleicht gegenüber ihrer Frisöse Fanny Feifalik etwas angedeutet haben könnte. Die Feifalik war der Kaiserin jeden Tag so nahe wie sonst kaum jemand. Das Bürsten, Flechten und Hochstecken von Elisabeths Haaren dauerte oft Stunden. Meistens plapperte die Feifalik dabei über den neuesten Tratsch. In Idas Augen war sie eine Person, die weder Sisis Achtung noch das hohe Gehalt verdiente, das sie bezog.

Ida kam ein erschreckender Gedanke: Die Feifalik könnte Elisabeth bereits von dem schrecklichen Vorfall erzählt und sie durch ihre unbedachte Wortwahl aufgeregt haben. Davor musste Ida die Kaiserin schützen.

Ach, wenn sie sich nur irgendjemandem anvertrauen könnte. Sie fühlte sich von der Angelegenheit überfordert.

Nachdem Ida tief eingeatmet hatte, betrat sie gewohnt energisch das Zimmer der Türhüter, wo zwei Mitglieder der Leibgarde vor sich hindösten. Als sie die Hofdame hörten, schreckten sie hoch und nahmen sofort eine stramme Haltung ein.

»Zur Kaiserin«, sagte Ida.

Der größere der beiden Gardisten streckte die Hand nach der Klinke der Tür zum Appartement, um sie für Ida zu öffnen.

Die Hofdame blieb stehen. Prüfend musterte sie die beiden Männer. Sie wusste, dass die Garden aus ihrem Heimatland kamen, und stellte ihre Frage deshalb auf Ungarisch:

»Hat jemand in letzter Zeit versucht, Zutritt zu den Räumen der Kaiserin zu bekommen, den Sie nicht kannten?«

Die Garden wechselten einen kurzen Blick und schüttelten dann ihre Köpfe.

»Sie haben bei meinem Eintreten fast geschlafen«, warf ihnen Ida vor.

Die Männer streckten das Kinn energisch vor, machten aber keine Anstalten, sich zu verteidigen.

»Wenn Sie im Dienst schlafen, kann hier jeder ungesehen vorbei«, setzte Ida fort.

Nun blickte einer der Männer Ida wütend an.

»Sparen Sie sich die Empörung«, sagte die Hofdame unerschrocken. »Denken Sie besser nach, ob es nicht doch vielleicht jemandem gelungen sein könnte.«

Ida sah die Garden stumm an, aber die zwei hielten ihrem vorwurfsvollen Blick stand. Wortlos ging sie schließlich durch die geöffnete Tür. In den Räumen der Kaiserin war es still. Ida hörte nur das Knistern des Stoffes ihres Rocks. Elisabeth hielt sich nicht in einem der Salons auf und war auch nicht in ihrem Wohn- und Schlafzimmer.

»Sie wird ihre Turnübungen machen oder sich eine neue Frisur stecken lassen«, dachte Ida.

Das Toilettenzimmer aber war ebenfalls leer. Verlassen hingen die Ringe, an denen Elisabeth sonst turnte, im Türrahmen. Die Bürsten und Tiegel waren ordentlich auf dem Tisch vor dem Spiegel aufgereiht.

Es war zehn Uhr am Vormittag. Da die Kaiserin keine Ausfahrt erwähnt hatte, war Ida über ihre Abwesenheit erstaunt. Sie beschloss, nach einer Zofe zu suchen, die Auskunft über den Verbleib der Kaiserin geben konnte.

Ein leises Plätschern ließ sie herumfahren. Die Tür zu Elisabeths Badezimmer stand einen Spalt breit offen.

Saß die Kaiserin in der Wanne? Badete sie?

Um diese Zeit?

Unruhig machte Ida ein paar Schritte auf und ab. Es geziemte sich nicht, das Badezimmer ungefragt zu betreten. Wie sollte sie sich verhalten?

Die Tür wurde von innen aufgestoßen und Olga schwebte in das Toilettenzimmer. Auf den ausgestreckten Unterarmen trug sie Elisabeths seidenen Morgenmantel, als wäre er leicht wie eine Feder.

»Melden Sie der Kaiserin, dass ich dringend mit ihr sprechen muss«, verlangte Ida.

Olga, die die Augen auf den Seidenmantel gerichtet hatte, zuckte erschrocken zusammen. Die glatte Seide rutschte von ihren Armen und der Mantel sank wie ein lebloser Körper auf den roten Teppich. Mit einem vorwurfsvollen Blick bückte sich Olga, um ihn aufzuheben. Beim Aufrichten funkelte Zorn in ihren Augen. Obwohl sie im Rang unter Ida stand, zeigte sie ihr gegenüber wenig Respekt.

»Hofdamen laufen nur neben der Kaiserin her, wie ihre Hunde«, hatte Ida sie einmal zu einer anderen Zofe sagen hören. »Ohne uns aber wäre die Kaiserin weder so schön, noch wäre sie bekleidet.«

An diesen Worten war etwas Wahres dran, aber das würde Ida nie zugeben.

»Ich muss der Kaiserin umgehend eine Mitteilung machen«, wiederholte Ida drängend. Sie sprach bewusst laut, in der Hoffnung, Elisabeth würde ihre Stimme hören.

»Ida? Was ist denn? Ich will keine Störung«, rief Elisabeth aus dem Bad.

»Die Kaiserin hat keine Zeit für Sie«, zischte Olga triumphierend.

»Komm in einer Stunde wieder«, befahl Elisabeth.

»Die Kaiserin nimmt ihr Bad in Olivenöl«, erklärte Olga und ließ keinen Zweifel, dass dieses Bad der Kaiserin wichtiger war als jedes Gespräch mit der Hofdame. »Gehen Sie also«, forderte die Zofe Ida auf.

Das Bad war ein Zeremoniell, auf das Elisabeth größten Wert legte. Das Öl, hatte sie Ida erklärt, verlieh ihrer Haut eine lang anhaltende Geschmeidigkeit, die mit keiner Salbe zu erreichen sei. Olga legte den Morgenmantel auf dem Sessel beim Toilettentisch ab und kehrte ins Badezimmer zurück. Mit Nachdruck schloss sie die Tür. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie Ida die Tür bestimmt gerne vor der Nase zugeknallt.

Die Zeitung in Idas Hand wog schwer wie ein Ziegelstein. Sie musste der Kaiserin von dem Artikel berichten, zu ihrem eigenen Wohl. Doch sie wollte jede Aufregung vermeiden. Und einen Befehl von Elisabeth zu missachten, kam für Ida nicht in Frage. Im Augenblick blieb ihr also nichts anderes übrig, als das Appartement unverrichteter Dinge zu verlassen.

Einen Moment lang war sie versucht, in Elisabeths Schlafzimmer zu gehen und die Schubladen ihres Sekretärs zu öffnen. Ida wusste, dass die Kaiserin darin Dinge aufbewahrte, die ihr am Herzen lagen. Wenn sie ihn darin sehen würde, gab es nichts zu befürchten …

Sie machte einen Schritt, hielt aber sofort wieder inne. Aus dem Schlafzimmer kam eine andere Zofe und brachte einen Schlafrock aus dickem, weichem Stoff, in den Elisabeth nach dem Bad schlüpfen würde.

Die Zofe nickte grüßend, Ida erwiderte den Gruß abwesend. Wie war der Fächer in die Hand des Ermordeten gekommen? Ida hatte ihn trotz der wenigen Worte sofort erkannt: Der Bericht im Polizeianzeiger beschrieb jenen Fächer, der erst kürzlich in den Besitz der Kaiserin gekommen war. Es war nicht irgendein Fächer, den ihr irgendjemand verehrt hatte. Es handelte sich um das Geschenk eines Seelenverwandten, wie Elisabeth ihn bezeichnete.

Verschiedene Möglichkeiten gingen Ida durch den Kopf:

Der Fächer könnte gestohlen worden sein.

Oder es handelte sich um einen Fächer, der dem von Elisabeth zum Verwechseln ähnlich sah.

Vielleicht war alles nur ein dummer Zufall, der Ida in unnötige Aufregung versetzt hatte.

Aber so wirklich überzeugen konnte Ida keine dieser...