Erste Etage, Zimmer fünf: Oliver „Ich wollte ihr etwas bieten können“
Es gibt Entscheidungen, die wir unser Leben lang bereuen. Wir glauben, hätten wir uns an diesem ganz bestimmten Zeitpunkt anders entschieden, wäre unser Leben anders verlaufen. Gerade dann, wenn das Leben nicht so läuft, wie wir es uns wünschen.
Bei mir war es der Zeitpunkt, als meine erste Frau nach der Scheidung wieder vor der Tür stand und zu mir zurückkommen wollte. Ich wollte das nicht, zumindest damals. Vielleicht war es nur ein kleiner Fehler in meinem Leben, vielleicht der Größte. Ich weiß es nicht. Heute bin ich 54. Mein Zuhause ist ein kleines Zimmer in dieser Einrichtung für Wohnungslose. Eine eigene Wohnung besitze ich schon lange nicht mehr. Trotzdem bin ich glücklich, ich fühle mich angekommen. Ich habe hier Menschen gefunden, die ich mag, ich kann selbst kochen. Ich habe ein Dach über dem Kopf, ich fühle mich beschützt. Was will ich mehr.
Oliver zeigt auf seine Tattoos. Auf dem Oberarm ist das Bild eines Hundes gestochen.
Das war mal meiner, den haben sie erschossen. Das Kreuz daneben steht in Verbindung mit dem Hund. Auf dem anderen Arm? Das ist ein reines Phantasiegebilde. Oberhalb davon steht der Name einer Frau. Das ärgert mich noch heute. Das war eine Freundin, sie hat mir ihren Namen tätowiert, während ich geschlafen habe, obwohl ich ihr sagte, dass ich das nicht möchte. Auf meinem Rücken befindet sich ein großes und komplexes Tattoo, das noch lang nicht fertig ist, wird es wohl auch nie. Der, der es mir gestochen hat, ist an Lungenkrebs gestorben. Kein Tätowierer traut sich seitdem da ran. Jeder hat wohl Angst, es zu versauen.
Und dann ist da noch das Bild einer schönen jungen Frau auf seinem rechten Unterarm.
Das ist meine erste Frau. Ich habe sie an Fasching fotografiert und das Bild als Vorlage für das Tattoo genommen. Ich habe es mir selbst gestochen. Als wir uns kennenlernten, war ich 23, sie war vier Monate jünger und brachte einen kleinen Sohn mit in die Beziehung. Ich habe ihn sofort als mein Kind angesehen, und er hat mich Papa genannt. Ich war stolz und glücklich.
Vielleicht war es ein Wahn, aber ich wollte meiner kleinen Familie unbedingt etwas bieten können. Ich wollte, dass es mein Pflegesohn besser hat als ich damals. Als ich fünf Jahre alt war, hat mein Vater uns verlassen. Ich sollte ihn erst 18 Jahre später wieder sehen. Diesen Verlust wollte ich dem Kleinen nicht antun. Am Ende verlor ich ihn dann doch.
Ich bin gelernter Metzger, mein Ziel war es aber immer, Koch zu werden. Kochen ist meine Leidenschaft, ich liebe es. Ich konnte in einer Gaststätte als Spüler anfangen zu arbeiten. Mein Chef mochte und unterstützte mich. Er wollte, dass ich mir irgendwann etwas Eigenes aufbaue. Er sagte, „Aus dem Jungen kann etwas werden“. Ich sollte mein eigenes Leben führen und stolz auf mich sein können. Mein Chef war wie ein Ersatzvater für mich. Ich arbeitete neun Jahre bei ihm. Warum ich gegangen bin? Ich lernte meine erste Frau kennen und musste mehr Geld verdienen, das glaubte ich zumindest.
Jahre später wollte ich meinen ehemaligen Chef bei sich zuhause besuchen. Seine Frau erzählte mir, dass er krank war und gestorben sei. Das war wie ein Stich ins Herz.
Um genug Geld zu verdienen, arbeitete ich auf drei Lohnsteuerkarten. Mein Arbeitstag fing morgens in aller Frühe als Zeitungsausträger an. In meinem Hauptberuf bespannte ich Couchmöbel mit einem Tuch. Dazu musste ich das Tuch zwischen die sogenannten Staubfänger und die Füße spannen. Ich arbeitete im Akkord, das war ein echter Knochenjob. Nach Feierabend habe ich dann noch Lkw beladen. Ich war kaum Daheim, eigentlich immer nur ein paar Stunden, um zu schlafen. Dafür konnte ich uns schöne Urlaube leisten, oft zweimal im Jahr. Wir sind nach Tschechien in die Heimat meiner Mutter gereist, in die