: Simon Goddard
: Bowie Odyssee 72
: Hannibal
: 9783854457657
: 1
: CHF 8.90
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 200
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
1972 - David Bowies künstlerischer Höhepunkt: Extrem, wegweisend, grenzüberschreitend 1972 verbreitete sich der Glamrock wie ein Lauffeuer und strahlte bis in die letzten Winkel der Musikwelt. Die Rolle des Macho-Frontmanns gehörte der Vergangenheit an, war einem androgynen Image gewichen - und wie kein anderer stand David Bowie mit seinem damals aktuellen Kunstwerk The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars für diesen Jugendkult. Hier vereinten sich Themen wie Science Fiction, Religion, kultische Verehrung und eine frei ausgelebte, ausschweifende Sexualität, die bei der 72er-Tournee durch eine Bühnenshow mit dramatischen Theaterelementen noch intensiviert wurden. Dank Simon Goddards fesselndem Schreibstil, bei dem er exzellent recherchierte Fakten durch überzeugende fiktionale Ausflüge belebt, entsteht ein plastisches Bild, das Bowie und sein Werk fassbar macht. Im Gegensatz zu bisherigen Publikationen stellt er eine unvergleichliche Nähe zum Künstler und seinen kreativen Experimenten her, die den Leser zum Zeitzeugen des stilprägenden Jahres macht.

Der 1971 geborene britische Musikjournalist Simon Goddard ist einer der angesehensten Bowie-Experten. Seine Bücher zu Themen wie The Smiths, Rolling Stones und Elvis Presley sind regelmäßig in den Bestenlisten zu finden. Die von ihm mit viel Leidenschaft geschriebene Odyssee-Serie wird als eine der besten Musikpublikationen der letzten Jahre gefeiert.

EINS

„Hallo, wir sind hier, um David Bowie zu sehen.“

Die Rezeptionistin schaut, mit den Wimpern klimpernd,auf das verwegene Duo, das gerade aus dem Aufzug gestiegen und an ihren Tisch getreten ist. Schulterlange Haare, lässig schicke Klamotten, der Geruch von Gauloises und Crosby, Stills& Nash. Es könnten Musiker sein.

„Wir sind vomMelody Maker.“

Sie lächelt und senkt ihr Kinn, ein unsagbar sanftes Nicken. Aber sicher doch.

Den mit dem Schnurrbart, der dem von Jason King leicht ähnelt, kennt man weithin als „Mick“, obwohl er viel lieber „Michael“ genannt werden würde wie in seiner Autorenzeile. Er ist seit fast zwei Jahren fester Redakteur beim meistverkauften Musik-Wochenmagazin, wahnsinnig dankbar, dem Lokalblatt aus Mittelengland entkommen zu sein, wo seine eigene Entertainment-Kolumne allwöchentlich als Erholung von dem „Rumtreiberproblem“ und den Forderungen nach einer Wiedereinführung der Prügelstrafe für randalierende Skinheads diente. Statt die ehemaligeCrossroads-Darstellerin Sue Nicholls über ihre Wurzeln in Walsall zu interviewen, verdient er nun seinen Lebensunterhalt, indem er mit John Lennon über Goebbels streitet.

Michaels zerzauster Handlanger mit dem fröhlichen Blick, der breit wie ein Kleiderbügel grinst, ohne zu erklären, was so witzig ist, heißt Barrie. Er umklammert eine braune Arzttasche, die mit einem schmuddeligen Mosaik aus Tour-Pässen von Bands beklebt ist. Dass kein Stethoskop drinsteckt, würde niemanden wundern, auch nicht Jan, die Rezeptionistin. Stattdessen sind es eher schamanische Heilmittel: Regenschirm, Blitzgerät und eine Pentax Spotmatic, die schon die Seele der Beatles, von The Who, Jimi Hendrix, Led Zeppelin und allen anderenMelody Maker-Titelhelden eingefangen hat, die mit unsagbar verschlafener Durham-Näselstimme vor seinem Objektiv in Position gebracht wurden.

Michael Watts’ Worte und Barrie Wentzells Fotos helfen dem Blatt gemeinsam, 174.000 Exemplare wöchentlich zu verkaufen – mehr als seine poppigere SchwesterDisc and Music Echo, sein tödlichster RivaleNew Musical Express, das immer noch zu ernsteSoundsund der zu launigeRecord Mirror– der Grund dafür, dass sich derMakertraut, sich die „Bibel des Rock“ zu nennen, obwohl sein Herausgeber ein 34-jähriger ehemaliger Schachmeister ist, der mit Eulenaugenbrille, bunter wie breiter Krawatte und überkämmter Halbglatze seine wahre Berufung als BBC-Wetterfrosch verfehlt zu haben scheint. Nicht dass es Ray Coleman bekümmern würde. An den Kiosken sticht seine Zeitschrift die Konkurrenz nach wie vor aus. Er setzt großmeisterliches Vertrauen in seine ausnahmslos männliche Belegschaft, die ihn behutsam überredet, die Seiten ihren eigenen Geschmäckern entsprechend zu füllen, wenn sie nicht gerade mit Klebeband umwickelte Exemplare des Hefts von letzter Woche durchs Büro kicken oder sich nach einem feuchtfröhlichen Lunch im Red Lion wieder nüchtern tippen. Aus diesem Grund sind Michael und Barrie trotz Rays partieller Bedenken an diesem tristen Januarmorgen hier in der Regent Street.

„Um David Bowie zu sehen.“

Hunky Doryhat die Sache geschaukelt –