: Ross Thomas
: Zu hoch gepokert Ein Philip-St. Ives-Fall
: Alexander Verlag Berlin
: 9783895816093
: 1
: CHF 12.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Noch bevor Philip St. Ives das Angebot von Ned und Norbert Nitry angenommen hat, das sagenhafte Schwert Ludwigs des Heiligen wiederzubeschaffen, findet sich der professionelle Mittelsmann in einem Londoner Gefängnis wieder. Und das ist nur der Anfang. Das kostbare Schwert ist den »diskret« mit Kunstwerken handelnden Brüdern Nitry gestohlen worden und die Diebe verlangen einhunderttausend Pfund Lösegeld. Als St. Ives den Auftrag annimmt, gerät er in einen Reigen bizarrer Figuren, die auch vor Mord nicht zurückschrecken.

Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, war ein amerikanischer Autor. Er schrieb bereits als Jugendlicher Sportberichte für eine Lokalzeitung, kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Infanterist auf den Philippinen und arbeitete danach als Reporter in Louisiana. In den fünfziger Jahren lebte er in Bonn und richtete dort das deutsche AFN-Büro ein, sowie in Frankfurt am Main. Er arbeitete als Public Relations- und Wahlkampfberater für Politiker wie beispielsweise Lyndon B. Johnson sowie als Journalist und Gewerkschaftssprecher in den USA und Nigeria. Seine Karriere als Schriftsteller begann er erst mit vierzig Jahren mit dem Schreiben vor allem von Politthrillern, in denen er die Hintergründe des amerikanischen Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Für seinen ersten Roman The Cold War Swap (Kälter als der kalte Krieg) erhielt er den Edgar Allan Poe Award. Ab 1982 verfasste er auch Drehbücher für Fernsehserien wie Simon und Simon oder Die unglaublichen Geschichten von Roald Dahl. Ross Thomas starb am 18. Dezember 1995 in Santa Monica.

3


Nur zwei Tage vor dieser Nacht in einer Londoner Arrestzelle hatten Julia Child und ich mehrere Hühnerbrüste mit dem Fleischklopfer bearbeitet, als Myron Greene, mein Anwalt und neuerdings Millionär, an die Tür meiner »Luxus«-Einzimmerwohnung im achten Stockwerk des Adelphi in der East 46th Street hämmerte. Es gab einen elfenbeinfarbenen Klingelknopf an der Tür, den Myron Greene hätte drücken können, aber er wusste gut, dass die Klingel nicht funktionierte und in den letzten drei Jahren nie funktioniert hatte. Das Adelphi-Apartmenthotel gehörte zu dieser Sorte Etablissements.

Ich legte den Fleischklopfer aus rostfreiem Edelstahl auf den antiken Hackklotz, den ich vor kurzem von einem 72-jährigen Brooklyner Metzger erstanden hatte, als er an dem Tag, da der Preis für gutes Porterhousesteak erstmals auf 4,25 $ pro Pfund stieg, zum Teufel mit allem sagte und sein Geschäft aufgab. Ich nickte, als Julia Child die zerklopften Hühnerbrüste zuerst in das mit Muskat versetzte Mehl, dann ins leicht geschlagene Eigelb tunkte. »Ich hab’s, Julia«, sagte ich, schaltete das Fernsehgerät aus und ging zur Tür.

Myron Greene stand einen Moment da und musterte mich mit dem leichten Missfallen, mit dem er vermutlich alle ausgewachsenen Männer musterte, die um vier Uhr nachmittags nur mit einem Bademantel und einer Küchenschürze bekleidet an die Tür gehen.

»Lieber Himmel«, sagte er.

»Danke, gut; und selbst?«

Er kam herein und sah sich wie immer so um, als rechnete er damit, einen arg unaufgeräumten Harem vorzufinden. Während er sich umschaute, nutzte ich die Gelegenheit, um festzustellen, was ein prominenter New Yorker Anwalt, der mit achtunddreißig soeben Millionär geworden war, an einem schönen warmen Maitag anhatte.

Anderthalb Jahrhunderte früher auf die Welt gekommen, wäre Myron Greene wahrscheinlich ein Anhänger von Beau Brummell gewesen, vielleicht ein etwas pummeliger, aber dennoch ergebener Jünger. So aber begnügte er sich damit, etwa sechs Monate hinter dem letzten Schrei zurückzubleiben; an diesem Mainachmittag lief das auf eine halbherzige Wiederbelebung derzoot suits aus den Vierzigern hinaus.

Myron Greene trug eine modifizierte Version in Taubenblau, mit einem Jackett, das ihm fast bis auf die Knie hing. Die hochtaillierte Hose reichte bis zum halben Brustkorb, wo sie von fünf Zentimeter breiten nachtblauen Hosenträgern festgehalten wurde. Sein braunes graumeliertes Haar, immer noch modisch lang, glänzte von vermutlich einem Pfund Vaseline.

»Ei, wie hübsch«, sagte ich.

»Gefällt’s Ihnen?«, sagte er in einem halb ernsten, halb hoffnungsvollen Ton.

»Was ist mit der Uhrkette passiert?«, sagte ich. »Sie wissen schon, diese meterlangen Dinger, die man damals getragen hat.«

Myron Greene blickte an sich hinab. »Ich dachte, das wäre ein bisschen übertrieben.«

»Vielleicht«, sagte ich. »Na, jedenfalls Glückwünsche.«

»Wozu?«

»Zur Centennial Group. Ich hab gehört, gestern um zwei ist der Kurs auf eins einundzwanzig gestiegen, und das macht Sie zum Millionär, wenn Sie Ihre Optionen gezogen haben, und wie ich Sie kenne, haben Sie das bestimmt gemacht.«

Myron Greene zuckte die Achseln bei meinen Nachrichten über die Aktien des Konglomerats, das er vor ungefähr sechs Monaten mit zusammengebastelt hatte. »Ist alles nur auf Papier«, sagte er.

»Tja, macht aber doch bestimmt Spaß, die Zahlen zu addieren.«

Er hob erneut die Schultern; seine Blicke wanderten immer noch durch das Apartment. »Das ist neu.« Er zeigte auf den Hackklotz, der vor der Pullman-Küche stand.

»In Wirklichkeit ist das Ding einhundertneunzehn Jahre alt.«

»Wo haben Sie’s her?«

»Aus Brooklyn.«

»Wie viel?«

»Fünfzig – und nochmal fünfzig fürs Hochschleppen hierhin.«

»Trotzdem, gute Investition.«

»Jesses, Myron, ich hab’s nicht als Investition gekauft.«

»Hätten Sie vielleicht machen sollen.«

»Lassen Sie uns zuerst was trinken.«

»Zuerst wovor?«

»Vor den schlechten Nachrichten, die Sie an dem Nachmittag, an dem Sie Millionär geworden sind, um vier Uhr aus Ihrem Büro gescheucht haben.«

Myron Greene sah auf seine Uhr. »Ich bin achtunddreißig.«

»Sehen Sie das auf der Uhr?«

Er seufzte und setzte sich in einen der Sessel vor dem sechseckigen Pokertisch. »Wenn es passiert wäre, als ich achtundzwanzig war, hätte es vielleicht etwas bedeutet. Ich weiß aber nicht, was.«

»Hier«, sagte ich und stellte ihm einen Scotch mit Wasser hin. »Da steckt der Sinn des Lebens drin.«

Er trank einen Schluck und schaute sich dann langsam im Zimmer um. »Sie haben wenigstens gelebt«, sagte er.

Das war eigentlich der Grund, aus dem ich Myron Greenes Klient war. Er war überzeugt, dass ich ein pikantes Dasein führte, bevölkert von langbeinigen Blondinen, sympathischen Abenteurern und leidlich ehrbaren Gaunern und Dieben, die alle ein goldenes Herz hatten. In Myrons Augen war ich ein lockerer Vogel mit beneidenswerter Lebensführung, konzipiert ausschließlich für Lust und Tollerei, aber hier und da gewürzt vom gelegentlichen Reiz milder Gefahr.

Dabei wurde ich in Wirklichkeit immer mehr zum Einsiedler und verbrachte zu viel Zeit allein in Museen, Galerien, Kinos und bei jeder Parade, die gerade stattfand. Außerdem trank ich zu viel in Bars in der Gesellschaft von kleinen Dieben, Betrügern, korrupten Polizisten, bankrotten Spielern, Hochstaplern und ähnlichem Gelichter wie arbeitslosen Schauspielern und freien Autoren.

In meiner Freizeit, die praktisch unbegrenzt war, blieb ich zu Hause, starrte die Wände an oder sah zu viel fern und las zu viel Dickens und Camus. An den meisten Samstagen durfte ich meinen achtjährigen Sohn sehen, dessen Mutter einen Mann geheiratet hatte, der im Gegensatz zu Myron Greene seine erste Million schon mit dreiundzwanzig Jahren gemacht hatte. Inzwischen war er fünfunddreißig und näherte sich wohl der ersten Milliarde.

Mein Sohn kam nie richtig dahinter, was ich für meinen Lebensunterhalt tat. »Du meinst, du besorgst Leuten Sachen wieder, Dad?«

»Stimmt.«

»Du meinst, wenn jemand was verloren hat, ’nen Haufen Geld oder so, hilfst du denen, es wiederzufinden?«

»Nein, ich helfe den Leuten, Dinge zurückzubekommen, die man ihnen gestohlen hat. Es geht nie um Geld.«

»Was für Dinge?«

»Na, Schmuck, zum Beispiel. Oder private Papiere. Oder wertvolle Kunst wie Gemälde und Bilder und so was. Manchmal sogar Menschen.«

»Du meinst, Leute werden geklaut?«

»Manchmal.«

»Und dann suchst du sie und verhaftest die Verbrecher?«

»Nein, ich gehe los und kauf die Menschen oder Dinge zurück.«

Darüber musste er einen Moment nachdenken. »Und die Leute, denen was geklaut worden ist, bezahlen dich dafür, dass du alles von den Gaunern zurückkaufst, ja?«

»Manchmal«, sagte ich. »Manchmal bezahlen mich die Gauner.«

»Wie viel?«, sagte er. Ich konnte sehen, dass ihm sein Stiefvater einiges beibrachte.

»Zehn Prozent«, sagte ich. »Nimm mal an, dir würde was gestohlen.«

»Mein Fahrrad.«

»Okay, dein Fahrrad. Und jetzt nimm an, wer auch immer es dir geklaut hat, ist bereit, es dir für zehn Dollar zurückzuverkaufen.«

»Es ist aber mehr wert. Viel mehr.«

»Weiß ich doch. Also, die Gauner würden dir sagen, wenn du mich benutzt, um ihnen das Geld zu bringen, kriegst du das Rad für zehn Dollar wieder.«

Auch darüber musste er nachdenken. »Versteh ich«, sagte er schließlich. »Aber wie weiß ich denn, dass sie nicht einfach die zehn Dollar nehmen und mein Rad behalten?« Er wurde auch zu einem richtigen New Yorker.

»Weil ich das nicht zulassen würde. Kein Rad, kein Geld.«

»Und wie viel würdest du von mir verlangen?«

»Von dir nichts. Aber wenn’s jemand anders wär’, ein Junge, den ich nicht kenne, würde ich von ihm einen Dollar nehmen.«

»Und das müsste er bezahlen?«

»Entweder er oder der Gauner, der das Rad geklaut hat.«

»Mann«, sagte mein Sohn, »das ist aber ein komischer Beruf.«

»Da hast du recht.«

»Und wie heißt das? Ich meine, wie nennst du das, was du tust?«

»Ich bin ein Mittelsmann«,...