Die Falle schnappt zu
Mia war schlecht gelaunt. Sie hielt seinen erneuten Anruf für einen Vorwand, ihr auf die Nerven zu gehen. Anscheinend genügten ihm die vielen Termine nicht mehr. Er wurde immer unverschämter und machte keinen Hehl daraus, dass er sie wollte. Selbst ihre Kleidung änderte nichts daran. Seit sie bemerkt hatte, dass hinter seinem fortwährenden Drängen zu einem Abendessen mehr stecken musste, wie er sie mit seinen Augen auszog, ihren Körper abtastete, ungeniert auf ihre Brüste starrte, sich geradezu sinnlich-verführerisch mit einer Fingerkuppe über seine Lippen fuhr – diese schön geschwungenen Lippen antiker Statuen – seither versuchte sie ihn durch unmodische und hoch geschlossene Kleidung abzuschrecken.
Aber vielleicht durchschaute er diese Taktik? Nichts hatte ihn seither davon abgehalten, jedes Mal aufs Neue zu fragen. »Wann gehen wir beide endlich zusammen essen oder ins Theater? Wie wäre es mit heute Abend? Oder nächsten Samstag?« Einmal hatte er ihr sogar demonstrativ Theaterkarten unter die Nase gehalten und sie hatte ein überaus schlechtes Gewissen verspürt, erneut abzulehnen. Vor allem aber hatte sie sich selbst dafür gehasst. Wenn sie nicht bis in alle Ewigkeit ein Singledasein führen wollte, musste sie irgendwann das Risiko einer neuen Beziehung eingehen. Warum also nicht mit Tiete?
Mia seufzte. Manchmal fürchtete sie sich vor seinem Blick. Er schien ihr Innerstes zu erkunden und sie hatte Angst, sich zu öffnen. Gerade heute war ihr gar nicht nach einer neuen Konfrontation.
Warum quälte er sie und lockte sie außerplanmäßig in seine Firma? Es war Mittwoch, nicht Freitag. Für Freitag stand sowieso ein Termin im Kalender. Konnte er nicht noch zwei Tage warten? Es war bestimmt nicht so dringend. Außerdem brauchte er sie doch gar nicht. Wenn sie ihm neue Papiermuster zeigte, warf er ohnehin kaum einen Blick darauf, sondern entschied ganz nebenbei, ob er eine Bestellung machte oder nicht. Er wusste genau, was er benötigte und was nicht. Welche Art Statistenrolle nahm sie eigentlich ein?
»Guten Tag, Frau Kramer. Sie können gleich hineingehen, Herr Tiete erwartet Sie«, wurde Mia freundlich von Tietes Vorzimmerdame begrüßt.
Sie nickte und grüßte, klopfte zweimal an die Tür, trat dann jedoch ein, ohne dasHerein abzuwarten.
Tiete stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und schaute auf den Firmenparkplatz vorm Haus. Hatte er etwa ihre Ankunft beobachtet? Mia überlegte fieberhaft, wie sie sich verhalten hatte. Den Rock glatt gestrichen, die Ärmel ihrer Jacke nach vorne gezupft, sich durch die Haare gefahren.
»Guten Tag, Herr Tiete. Was gibt’s denn so Dringendes?«
Er drehte sich um und deutete hinüber zur Sitzecke, wo auf dem runden Glastisch ein paar Drucksachen lagen.
»Tag, Frau Kramer.«
Mia befiel ein ungutes Gefühl. Noch nie hatte sie ihn kurz angebunden und schlecht gelaunt erlebt. Normalerweise begrüßte er sie freundlich und reichte ihr die Hand, wie es sich gehörte. Heute war seine Miene allerdings ernst und undurchdringlich. Er würdigte sie