»Die Lederszene inCruising ist einfach ein Hintergrund für einen rätselhaften Mordfall.« Seit die Dreharbeiten anCruising 1979 von New Yorker schwulen Protestierenden gestört wurden, hat William Friedkin dieses Argument so oft vorgetragen, dass er ihm, zweifellos ungeduldig, es ein für allemal abgehakt zu haben, in seinem Kommentar zur neuen DVD-Ausgabe vonCruising die selbsterklärende Logik einer Tautologie verleiht: »Der Hintergrund der Lederbars … ist einfach ein einzigartiger Hintergrund.« Doch auch die mantraartige Wiederholung kann nichts daran ändern, dass bezüglichCruising die Lederszene, eben aufgrund ihres »einzigartigen« Aspekts, niemals nur einfach ein Hintergrund gewesen ist. Friedkin selbst war ganz im Gegenteil ohne diesen Hintergrund gar nicht an der Kriminalgeschichte interessiert gewesen. Als er zum ersten Mal gefragt wurde, ob er Gerald Walkers Romanvorlage von 1970 verfilmen wolle, einen Text, in dem die Homosexuellen feingliedrig waren, Pony trugen und biblisch gesprochen ihren Arsch nicht von ihrem Ellbogen unterscheiden konnten, verzichtete er gelangweilt. Das war, bevor er begann, mit nichts am Leib als einem Jockstrap und (sicherheitshalber) begleitet von einer bewaffneten Mafiaeskorte im gleichen Kostüm, sich ins Mineshaft zu wagen, um mit eigenen Augen die schwule Sexszene anzusehen, die sich dort in letzter Zeit entwickelt hatte. Was er zu sehen bekam, rüttelte ihn wach und überzeugte ihn davon, dass der Roman, in dieses neue Milieu verlegt, auf der Leinwand funktionieren könnte. Seine nächtlichen Besuche tauchen im Film wieder auf, wo sie vom Hauptprotagonisten Steve Burns (Al Pacino) abgehalten werden, einem straighten Undercover-Polizisten, der auf der Suche nach einem Homo-Mörder die New Yorker schwulen Lederbars und -clubs infiltrieren muss. Die entsprechenden Kamerafahrten vor Ort sind das, wasCruising 1980 so aufregend machte; und sogar heute lassen sie sich nicht als Banalität abtun.
Protestflyer gegen die Produktion vonCruising
Es ist leicht ersichtlich, warum. Die Kameraeinstellungen, die durch das Dunkel von Bars mäandern, deren Gäste ebenso gut gerade dabei sein könnten, Schwänze zu lutschen wie Bier zu schlürfen – und wo selbst jenes Bier dazu bestimmt zu sein scheint, auf Männer gepisst zu werden, die eigens dafür in Badewannen sitzen –, werfen ein beinahe blendendes Schlaglicht auf eine Sexualität, die so tief im Schatten verborgen lag, dass sie bis heute weitgehend filmisch unsichtbar ist. Hollywood, bis dahin kaum imstande, anzudeuten, was zwei schwule Männer daheim unter der Bettdecke anstellten, geht plötzlich dazu über, uns eine vollständige und akkurate Vorstellung davon zu liefern, was etliche von ihnen in Schlingen gefesselt im Anvil trieben. Wirklichescruising findet in diesen Einstellungen ausgesprochen selten statt (und die wenigen Aufreißversuche scheinen in fantastisch kurzer Zeit erfolgreich zum Ziel geführt zu haben); die meisten Männer sind anscheinend bereits kurz davor abzuspritzen. Kein trauriges, einsames Sehnen hier; stattdessen ein höchst opulentes Spektakel von Vollzug und Sinnesfreuden, so sehr von Körpern wimmelnd wie ein Gemälde von Bosch. Die Protestierenden behaupteten sicherlich zurecht, dassCruising eine lange Hollywoodtradition fortsetzt, in der das Homosexuelle und das Mörderische gleichgesetzt werden, doch in seinen Vorgängern – vor allem in HitchcocksRope (1948, dt.Cocktail für eine Leiche) undStrangers on a Train (1951, dt.Der Fremde im Zug /Verschwörung im Nordexpress) – war das Mörderische alles, was wir zu sehen bekamen; schon allein, uns das »Sexuelle« im »Homosexuellen«überhaupt sehen zu lassen, ganz zu schweigen von der Ausgiebigkeit, in der Friedkin es getan hat, ist eine territoriale Eroberung, die den Vergleich mit Cortez nicht zu scheuen braucht. Und James Contners Kameraarbeit zeigt sich dem Anlass gewachsen, indem sie das Fries der Ledermänner in ein ätherisch blaues