: Bente Sommer
: Heather Island - Die Glücksauster
: MORE by Aufbau Digital
: 9783967972207
: 1
: CHF 2.40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 248
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Nora muss nach einigen Schicksalsschlägen ihr Leben neu sortieren. Da kommt ihr die Einladung ihres exzentrischen Vaters in sein neues Haus auf einer Insel vor der Westküste Irlands gerade recht.
Inmitten von mehr Schafen als Menschen, rauen Steilküsten und einsamen Stränden erhofft sie sich neue Ideen für ihre Zukunft. Doch stattdessen gerät sie zwischen die Fronten. Ihr Vater liegt im Dauerstreit mit seinem attraktiven Vermieter Rhys, für den Nora bald mehr empfindet als sie sich eingesteht. Doch Rhys hat noch ganz andere Sorgen: ein großer Hotelkomplex soll ausgerechnet die Bucht verschandeln, in der er seinen Lebensunterhalt mit Austernsammeln verdient. Und als herauskommt, dass Noras Vater seine Finger im Spiel hat, ist die junge Liebe zwischen Rhys und Nora in Gefahr ...
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Bente Sommer ist das Pseudonym einer Berliner Autorin, deren Herz für Langeoog schlägt. Die Menschen, der Strandhafer, das Meer und der salzige Wind faszinieren sie schon seit Jahren und bieten reichhaltige Inspiration für ihre Romane. Wenn sie gerade nicht an einer neuen Geschichte arbeitet, engagiert sich Bente Sommer für den Tierschutz und verbringt ihre Zeit gern in der Natur, an einem der vielen Berliner Seen und träumt vom Meer.

Kapitel 1 – Nora


Ich schluckte.

Die kleine Glocke hatte ein letztes Mal geläutet, als ich die Ladentür hinter mir zuzog.

Einen Moment lang starrte ich durch die Scheibe ins Innere. Mein Blick streifte die langen ausgeräumten Holzregale hinter dem Tresen, die ich gerade noch einmal abgewischt hatte. Heute Morgen war jemand gekommen und hatte die leeren Weinfässer gekauft, auf denen ich denWein des Monats ausgestellt oder die ich als Stehtische für Weinproben benutzt hatte.

Nun sah alles verlassen aus, beinahe so wie vor fünf Jahren, als ich den Weinladen eröffnet hatte.

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam herum. Wie immer gab es da diesen kurzen Ruck, dieses kurze Steckenbleiben, die kleine Anstrengung, die es mich kostete, bis ich ihn wieder herausziehen konnte. Meiner Schultertasche entnahm ich den weißen Umschlag, den ich vorbereitet hatte, und steckte den Schlüssel hinein.

Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter, halb in der Überzeugung, Tobias würde hinter mir stehen und mir aufmunternd zulächeln, doch ich war natürlich allein.

Seine Stimme hatte ich trotzdem noch im Ohr: »Nora, ich bin auch noch da. Wir schaffen das! Zusammen!«

Ein bitteres Lachen entfuhr meiner Kehle und ich wischte mir mit dem Handrücken über die Wangen, bevor ich das Kuvert mit dem Schlüssel durch den Schlitz des Briefkastens neben der Ladentür schob.

Alles aus und vorbei.

Mir war ein bisschen so, als hätte ich all meine Wünsche, Träume und Hoffnungen, die mich bis dahin durch mein Leben getragen hatten, in diesen Umschlag gesteckt und jetzt endgültig abgegeben. Ich hatte mal einen Weinladen, ich hatte mal einen Mann, der mich liebte.

Seufzend hob ich den Karton mit den letzten Weinflaschen an und trug ihn an den Bordsteinrand.

Nicht hochschauen, befahl ich mir, und natürlich sah ich dennoch hoch und zum Haus gegenüber, in dem ich die letzten Jahre mit Tobias gelebt hatte. Ich betrachtete den Stuck am Haus, die beiden Säulen neben der Eingangstür und die hohen Fenster im ersten Stock, in der Beletage, in der wir gewohnt hatten und in der nun eine andere Frau in meinem Bett schlief, morgens den Schalter am Kaffeevollautomaten umlegte und aus meiner Tasse trank. Das Bittere daran war, dass ich die Frau sehr gut kannte.

Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen, dann wartete ich auf das nächstbeste Taxi, das sicher in wenigen Minuten vorbeifahren würde. Eine Ausgabe, die eigentlich nicht in mein Budget passte, aber irgendwie musste ich ja in Tobias’ Kleingarten kommen, in den ich nach der Trennung gezogen war.

»Lass uns doch noch mal reden!«, hatte Tobias gesagt, als er mich mit meinem Rollkoffer und den Reisetaschen im Flur aufgehalten hatte. »Wo willst du denn jetzt überhaupt hin?«

»In den Laden!«, gab ich damals trotzig zurück.

»Da hast du nicht einmal ein Bad! Das ist doch … Ich bin sicher, wir finden eine Lösung.«

»Ich bleibe keine Sekunde länger hier, falls du das unter einer Lösung verstehst.«

»Dann nimm doch wenigstens die Gartenhütte!«

Eigentlich hatte ich auch die nicht haben wollen. Schon gar nicht, nachdem ich herausgefunden hatte, dass Tobias, der den ganzen vergangenen Frühling daran herumgewerkelt hatte, in Wahrheit an seinem Liebesnest gebastelt hatte.

Aber weil ich keine Ahnung hatte, wohin, und es völlig aussichtslos war, in Berlin auf die Schnelle eine Wohnung zu finden, war ich tatsächlich erst einmal dort eingezogen.

Ich winkte nach dem Taxi, das nun im Schritttempo auf der Suche nach Kundschaft durch die Straße kroch.

»Ick kann hier nich weiter, junge Frau. Überall Feuerwehr.«

Stirnrunzelnd hielt ich mein Smartphone zum Bezahlen an sein Lesegerät. »Was ist denn hier los?«, fragte ich entgeistert. Zwei Löschfahrzeuge versperrten die schmale Straße, eine kleine Menschentraube hatte sich vor einer provisorischen Absperrung gebildet und weiter hinten aus der Kolonie stieg eine große schwarze Rauchsäule auf.

»Ick will ja nich klugscheißern, aber ick globe, hier brennt was. Und nich nur Gartenabfälle«, konstatierte der Taxifahrer, bevor er mir die Weinkiste aus dem Kofferraum in den Arm gab.

Ohne ein weiteres Wort stieg er wieder ein, wendete und fuhr weg, während ich langsam auf den Eingang zusteuerte. Ein Polizist, dessen Bauchansatz sich gemütlich über dem Hosenbund beulte, lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Absperrung.

»Sie können hier nicht durch, Polizei- und Feuerwehreinsatz.«

»Sehe ich«, sagte ich knapp. »Aber ich wohne hier. Nora Berger.«

Er richtete sich langsam auf und zog die Augenbrauen nach oben. »Soso.«

Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen. »Ja, nur noch bis Oktober, bis das Wasser abgestellt wird, natürlich«, beeilte ich mich zu versichern.

Und dann, Nora?

Ich ignorierte die hartnäckige Stimme in meinem Kopf.

Er hob eine Hand und kratzte sich am Kopf. »Welche Gartennummer?«

»45«, gab ich rasch zurück.

Plötzlich riss er die Augen auf. »Ach du …« Er richtete sich sehr gerade auf. »Tut mir leid«, murmelte er.

»Ich verstehe nicht –«, begann ich und brach dann ab.

Der Polizist schluckte. »Das ist die Hütte, die brennt.«

Die folgenden drei Stunden zogen an mir genauso vorbei wie all die Gedanken, die durch meinen Kopf flogen und nicht bleiben wollten.

Der Polizist, der sich erst ein bisschen brummig gegeben hatte, war schließlich doch noch aufgetaut. Er hatte mich durchgelassen und sogar selbst so nah an die brennende Hütte herangebracht, wie es die Feuerwehr erlaubte. Allerdings war das immer noch so weit entfernt, dass ich außer den Löschschläuchen zu meinen Füßen, die sich durch den hellen Kies schlängelten, den an mir vorbeieilenden Feuerwehrleuten und der dicken schwarzen Rauchsäule eigentlich nicht viel sehen konnte.

Ich hatte mich auf meine Weinkiste gesetzt und das Kinn auf meine Hände gestützt. Erst dachte ich einen absurden Moment lang, es würde anfangen zu schneien. Ende Augst. Doch als mir klar wurde, dass das die Asche meines letzten Besitzes war, die da auf mich herabrieselte, hatte ich eine ganze Weile geschluchzt.

Jetzt hatte ich nichts mehr außer den acht Flaschen mittelmäßigen Merlot und den zwei Flaschen ausgezeichneten Rioja, auf denen ich saß, dem langen dunkelblauen Sommerkleid, das ich trug, der beigefarbenen Strickjacke in meiner Schultertasche und den blöden hohen Sandaletten, die zwar schön aussahen, aber verdammt unbequem waren.

»Frau Berger?«

Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, dass ich gemeint war. Zum zweiten Mal an diesem Tag wischte ich mir die Tränen von den Wangen und sah dann auf.

Der junge Feuerwehrmann sah mitleidig auf mich herab. »Wir haben das Feuer gelöscht. Leider«, er schluckte, »leider ist die Hütte mit allem, was darin war, komplett abgebrannt. Wir tippen auf unsachgemäß verlegte Elektrik in dem kleinen Bad, aber das müssen wir noch genauer untersuchen.« Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Immer dasselbe. Gucken drei YouTube-Tutorials und denken, sie wären Elektriker.«

Das sah Tobias ähnlich. Ich nickte. »Mein Ex hat die Hütte renoviert.«

»Gut, dass keiner da war, als das Feuer ausbrach. Die Wandverkleidung muss sofort in Flammen aufgegangen sein.«

Ich stand auf. »Kann ich hin?«

Er schüttelte abermals den Kopf. »Nein, heute sicher nicht. Das ganze Löschwasser, der Schaum – und die Brandursache ermitteln wir auch noch. Nein, leider nicht.« Mit einer Hand fasste er in die Tasche seiner Jacke und holte eine kleine rote Kiste heraus. »Das hier war das Einzige, das relativ unversehrt geblieben ist. Tut mir sehr leid.«

Ungläubig griff ich nach der kleinen roten Kiste. Ich hatte sie seit Jahren nicht mehr in der Hand gehabt. Sie war in irgendeinem der Schuhkartons mit altem Zeug, das ich wahllos in eine der Reisetaschen geworfen hatte, als ich ausgezogen war.

»Haben Sie«, er räusperte sich, »haben Sie jemanden, wo Sie hinkönnen?«

Gute Frage. Ich holte tief Luft. Ich würde meine Mutter anrufen müssen. Das auch noch.

...