Dienstag, siebter März
Im kleinen Büro desAtélier Lautier in Moustiers-Sainte-Marie brütete Adéline Lautier über den Dateien, die sie von ihrem Steuerberater per E-Mail geschickt bekommen hatte.
„Es will und will nicht aufwärts gehen“, seufzte sie beim Anblick der Umsatzstatistik. Fast alle Artikel, die dasAtélier Lautier fertigte, wiesen einen deutlichen Abwärtstrend auf. Nur eine Produktlinie gab Anlass zur Hoffnung: Das neueservice pour le dîner aus hellgrauem Ton, dessen Formen sie selbst designt und ausgeformt hatte und das mit dem feinen Dekor bemalt war, das ihr Urgroßvater vor mehr als hundert Jahren entworfen und das sie vor Kurzem im Archiv wiederentdeckt hatte. Das Dinnerservice stieß ganz offensichtlich auf das Interesse ihrer Kunden. Ob es die sehr eigenwillige, moderne Formgebung der Teller, Schalen und Terrinen war, die zu diesem starken Umsatzwachstum geführt hatte, oder die fein ziselierte, konservativ-altmodisch wirkende Bemalung mit Fantasiepflanzen und -tieren, konnte sie nicht sagen. Aber sie vermutete, dass es eher das sehr ansprechende Dekor nach dem Entwurf ihres Urgroßvaters war, das für den unerwarteten Verkaufserfolg verantwortlich zeichnete. Trotzdem: Insgesamt sah die wirtschaftliche Lage des Ateliers Laurier alles andere als gut aus.
„Ich werde wohl einige Artikel und Produktlinien aus dem Sortiment nehmen müssen“, überlegte sie und strich die mit den dicksten Minuszeichen versehenen Positionen mit einem roten Marker an.
„Und dafür mehr mit meinen neuen Formen und den alten Mustern arbeiten“, entschied sie.
Mit Schwung wurde die Tür aufgerissen und prallte an das dahinterstehende Aktenregal.
„Adéline, hast du das schon gesehen?“
Ghyslaine Colpart war ins Büro gestürmt und knallte eine etwa weinflaschengroße Fayencevase auf Adélines Schreibtisch. Entrüstet und vor Aufregung außer Atem stammelte sie:
„C’est une cochonnerie! Eine Sauerei ist das! Du musst das verhindern!“
Adéline Lautier blickte ihre Verkäuferin erschrocken an:
„Was gibt es denn so Schlimmes, das dich derart erregt? Ist im Laden etwas passiert?“
„Der Marrasse, dieses Schwein, klaut unser Erfolgsdekor. Schau es dir doch an, das Stück da! Das darf der doch gar nicht!“
Jetzt wandte Adéline ihren Blick der vor ihr stehenden Vase zu. Sie hatte die typische Form, wie sie ihr Konkurrent Jacques Marrasse für seine Fayencen verwendete. Aber die Bemalung! Das gab es doch nicht! Eins zu eins waren das die Fantasiepflanzen und -tiere ihres Urgroßvaters. Auch die Farben waren identisch.
„Wo hast du das her?“, fragte sie ihre Verkäuferin.
„Ein Kunde hat mich darauf aufmerksam gemacht.“
„Wie?“
„Er hat gesagt, er habe in unserem Schaufester gesehen, dass wir auch diese Motive verwenden. Dann hat er mir diese Vase gezeigt. Er suche eine deutlich größere, aber mit derselben Bemalung. Ich habe ihn gefragt, woher er die Vase habe. Vom Atelier Marrasse hat er gesagt und mir die Rechnung gezeigt. Hundertzehn Euro! Mit unserem Design!“
Adéline nahm die Vase, drehte sie langsam in ihrer Hand und betrachtete mit scharfem Blick jedes einzelne Bild. Dann schüttelte sie fassungslos den Kopf.
„Das ist das Dekor unseres einzigen Erfolgsmodells. Das darf er nicht nachmachen. Nein, das geht wirklich nicht. Dieses Muster wurde in meinem Atelier entwickelt, von meinem Urgroßvater. Und Jacques Marrasse klaut uns das einfach, bemalt seine Produkte damit und verkauft sie, als wäre es seine Erfindung. Das kann er nicht machen. Noch dazu ohne uns zu fragen und um Erlaubnis zu bitten. Das ist Plagiat. Das ist verboten. Schließlich gibt es ein Urheberrecht in Frankreich.“
„Was machen wir jetzt? Was will