: Danilo Fender
: Ahnungslos schuldig
: Empire-Verlag
: 9783757940508
: 1
: CHF 3.20
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 485
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Inmitten der blühenden Pracht seiner vergessenen Heimat, Rosenfeld, kehrt Victor nach 20 Jahren zurück. Doch die malerische Kulisse verblasst schnell, als die Schatten seiner düsteren Vergangenheit ihn einholen. Victor, ein verurteilter Doppelmörder, gerade aus dem Gefängnis entlassen, betritt den Ort des Geschehens, an dem er die Eltern seiner einstigen Geliebten mit einer Axt erschlagen und seine Freundin entführt haben soll. Doch seine Erinnerungen sind eine Lücke, ein schwarzes Loch. Die einzigen Hinweise, die er besitzt, sind die Geschichten anderer.
Während er einen Neuanfang sucht, enthüllt Rosenfeld seine dunkelsten Geheimnisse. Menschen, die nur auf seine Rückkehr gewartet haben, entfesseln eine unheilvolle Kette von Ereignissen. Ein blutiger Leichenfund lässt die Bewohner erstarren und Victor findet sich erneut als Hauptverdächtiger Nummer eins wieder.
Im Rennen gegen die Zeit und den Schatten seiner eigenen Erinnerungen muss Victor die Wahrheit finden, um seine Unschuld zu beweisen. Doch Rosenfeld hütet mehr als nur ein Geheimnis. Zwischen den scheinbar friedlichen Hügeln und üppigen Wäldern lauert eine finstere Bedrohung, die Victor alles kosten könnte.
Ein atemloser Thriller, der die Grenzen der Erinnerung und der Schuld überschreitet. Wird Victor die Wahrheit enthüllen und die unsichtbaren Fesseln seiner Vergangenheit durchbrechen können? Oder wird Rosenfeld sein endgültiges Grab werden?

Danilo Fender lässt am liebsten seine Bücher für ihn sprechen. Die haben viel mehr zu sagen und sind um einiges spannender als ein Autor, der abseits seines Schriftstellerdaseins ein eher beschauliches Familienleben führt. Vielleicht macht das seine Romane umso authentischer. Denn wie jeder Krimi-Leser weiß, lauern hinter der Fassade der Bürgerlichkeit oft die schlimmsten Albträume. Sagen Sie also nicht, Sie wären nicht gewarnt worden!

5

 

Victor schaute auf den Teller mit der dampfenden Rinderroulade und atmete ihren vertrauten Duft ein. Sie roch köstlich, nach Kindheit. Nach unbeschwerten Tagen. Genau wie die goldgelben Kartoffeln vom eigenen Feld und das frische Rotkraut. Gierig machte er sich darüber her.

Seine Mutter beobachtete ihn lächelnd.

»Schmeckt’s?«, fragte sie unnötigerweise, während Victor das Essen in sich reinschaufelte.

Er nickte mit vollem Mund. Natürlich schmeckte es. Nicht umsonst hatte er sich diese Mahlzeit gewünscht, als die Mutter vor ein paar Wochen fragte, was sie bei seiner Rückkehr kochen sollte. Damals hatte er sich wie ein zum Tode Verurteilter gefühlt, der nach seiner Henkersmahlzeit gefragt wurde. Nun setzte sich in ihm die Gewissheit durch, dass seine Situation wohl doch etwas besser war.

»Das ist das beste Essen seit einer Ewigkeit«, bekannte er, nachdem er fertig gekaut hatte. Das Lächeln der Mutter wurde breiter.

»Darauf möchte ich wetten«, murmelte Victors Vater spöttisch, der mit am Tisch saß. Er begann ebenfalls zu essen. Victor schielte kurz zu ihm rüber, sagte aber nichts. Der kurze Moment des Friedens, den er verspürt hatte, seit sie ins Dorf gekommen waren, löste sich in Luft auf. Seine Mutter hatte es geschafft, ihm während der Fahrt seine Ängste und Bedenken zu nehmen, davor, was ihn daheim erwarten könnte. Wie man ihn aufnehmen würde. Wie die Nachbarn reagieren. Sie hatte ihm das Gefühl gegeben, dass sich alles irgendwie fügen würde. Ohne viel zu reden.

Dies machte sein Vater nun mit seiner puren Anwesenheit zunichte.

Auch er redete nicht viel. Zumindest heute nicht. Doch sein Schweigen hatte weder etwas Beruhigendes noch Tröstendes. Im Gegenteil – es wirkte aufgestaut und aggressiv und war in seiner Stille fast bedrohlich. Victor spürte es und zog intuitiv den Kopf ein. Er wollte keinen Streit, sondern Ruhe. Nach all den Jahren im Gefängnis sehnte er sich nur nach Frieden.

Natürlich wusste er, woher der Unmut des Vaters rührte. Das Verhältnis zwischen ihnen war beinahe zeitlebens belastet, Victor für seinen Vater eine lebende Enttäuschung. Nicht erst seit der Schande, die er über die Familie gebracht hatte.

Auch vorher schon gab es unschöne Szenen zwischen ihnen. Vielleicht hätte Victor einiges davon verhindern können. Wenn er nur etwas umgänglicher, entgegenkommender oder einsichtiger gewesen wäre. Aber manchmal musste man im Leben Entscheidungen treffen, die man für richtig hielt. Selbst wenn andere sie nicht teilten. Selbst wenn sie sich dadurch verletzt fühlten. So hatte Victor das früher gesehen und so sah er es noch heute.

Auch sein Vater war älter geworden. Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Der kurze Bart und die Haare waren heller, fast weiß. Die Geheimratsecken hatten sich vergrößert. Trotzdem war sein Vater immer noch schlank und sehnig, wirkten seine Bewegungen straff und geschmeidig. Wahrscheinlich trainierte er weiter jeden Tag. Ob er noch unterrichtete, wusste Victor nicht. Wahrscheinlich nicht. Insgesamt wusste er nur wenig über seinen Vater. In den letzten zwanzig Jahren hatten sie einander nur selten gesehen und noch viel seltener miteinander geredet.

Als der Vater nun seine Mahlzeit beendet hatte, stand er wortlos auf und verließ den Tisch. Sofort schien es in der Küche wärmer zu werden. Selbst die Mutter wirkte gelöster.

»Ich freue mich, dass du wieder da bist«, begann sie und legte Victor eine Hand auf seine. Er drückte sie sanft.

»Und ich freue mich, wieder hier zu sein.«

»Willkommen zurück, mein Junge.«

»Danke, Mama.«

 

Den Nachmittag verbrachte Victor damit, sich einen ersten Eindruck von seinem neuen, alten Zuhause zu verschaffen. Den Lebensmittelladen, den seine Eltern betrieben hatten, solange Victor zurückdenken konnte, in dem er praktisch aufgewachsen war, gab es nicht mehr. Stattdessen stand da nun ein Hofladen, der, soweit es Victor auf den ersten Blick beurteilen konnte, gut zu laufen schien. Er befand sich in der alten Scheune, die jahrelang