: Boris Schneider
: Liebes-Märchen aus fernen Ländern
: Machandel Verlag
: 9783959593649
: 1
: CHF 2.70
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Liebesmärchen aus fernen Ländern spiegeln wider, was wir alle kennen: Liebe ist Freud und Leid zugleich und ebenso Ansporn zu Höchstleitungen. In diesem Buch finden Sie Den Sohn des Pharao, dessen Schicksal die Liebe entscheidet. Die Amazone, die einen hohen Preis für ihre Träume zahlt. Zwei Aborigine-Krieger, die zu ihrem Unglück dieselbe Frau lieben. Den schiffbrüchigen Europäer, der in Madagaskar seine Liebe findet. Den Zarensohn, dessen Leben von Neid zerstört und von Liebe gerettet wird. Den Sklaven, der sich ausgerechnet in die Tochter des Tolteken-Königs verliebt. Die stolze Isländerin, die lernt, dass zu Liebe auch Vergebung gehört.

Dr. Boris Schneider, Jahrgang 1971, stammt aus Burbach im Siegerland. Dem Studium der Biochemie an der Universität Bayreuth folgte die Promotion am Lehrstuhl für Mikrobiologie der Universität Würzburg. Derzeit ist er in München tätig. Er lebt in Buchloe im schönen Allgäu, ist glücklich verheiratet und zweifacher Vater. Als Autor hat er Veröffentlichungen in über fünfzig Anthologien bei diversen Verlagen vorzuweisen sowie mehrere Bücher.


Die erste Amazone



(frei nach dem südamerikanischen Märchen „Die Amazonen“)

Überrascht euch selbst, was alles möglich ist.

ANGELA MERKEL



Prolog



„Mama, ich will nicht weg! Ich will bei dir bleiben.“

Cunhatai legte den Korb beiseite, an dem sie gerade flocht, und sah ihren Sohn an. Seine großen Augen blitzten rebellisch, wie immer, wenn sie ihm die Geschichte ihres Stammes erzählte. Sie strich ihm über das glatte schwarze Haar und seufzte. „Noch musst du nicht weg, du bist ja noch nicht zwölf.“

Piata war mit der Antwort keineswegs zufrieden. Wütend stampfte er mit den Füßen auf den Boden. „Aber irgendwann bin ich zwölf, und ich will nicht weg!“

Cunhatai wusste nicht, wie viele hundert Male sie dieses Gespräch schon geführt hatten. Jede Mutter eines Sohnes führte bei den Walyarima diese Gespräche, wenn die Kinder älter wurden. Sie wusste von den anderen, dass sie keiner leicht fielen. „Ich habe die Regel nicht gemacht“, sagte sie wie schon oftmals zuvor.

„Aber es ist eine dumme Regel“, beharrte Piata.

„Ohne diese Regel gäbe es die Walyarima bald nicht mehr. Männer würden über uns Frauen bestimmen, wie überall sonst auf der Welt.“

„Ich würde nicht über euch bestimmen. Ich würde alles machen, was du mir sagst, wenn ich bei dir bleiben dürfte.“

Cunhatai sah ihrem Sohn in die Augen. Er glaubte, was er sagte. Wäre es wirklich so schlimm, wenn er bliebe? Es tat ihr jetzt schon das Herz weh, wenn sie an den Abschied dachte. Sie blickte zu Boden und schwieg.

Auch Piata sagte eine Zeitlang nichts.

„Hat mein Vater über dich bestimmt?“, nahm er schließlich doch das Gespräch wieder auf, als Cunhatai gerade wieder nach dem halbfertigen Korb greifen wollte.

Erneut seufzte sie leise. „Er war nicht lange genug hier, das habe ich dir doch schon erzählt.“

„Vielleicht kommt er wieder, wenn ich zwölf bin. Dann kann ich mit ihm gehen. Caurés Vater hat ihn auch abgeholt.“

„Ja, vielleicht“, stimmte Cunhatai zögerlich zu. Sie hatte es nie übers Herz gebracht, ihrem Sohn zu sagen, dass sein Vater gar nichts von seiner Existenz wusste. Sie hatte Butuie weggeschickt, nachdem ihr Mondblut ausgeblieben war, hatte ihm aber nichts davon erzählt – eine andere der Regeln der Walyarima, an die sich aber einige offensichtlich nicht mehr hielten. Wie oft hatte sie sich schon gewünscht, dass sie das auch getan hätte. Aber sie war sich so sicher gewesen, eine Tochter zu bekommen.

Wieder strich sie Piata übers Haar.Er wird so enttäuscht sein, wenn sein Vater nicht kommt.Aber vielleicht holt er ihn ja doch, versuchte sie sich einzureden. Er hatte die Walyarima kennengelernt und wusste von ihren Bräuchen.

„Ich hasse diese Regel!“, sagte Piata mitten hinein in ihre Gedanken. Sein rundliches Jungengesicht zeigte alle Abscheu, zu der es fähig war.

„Ich weiß, mein kleiner Panther. Trotzdem gibt es sie und ich kann sie nicht ändern.“

Piata nickte unwillig. Er hatte ihre Antwort schon im Voraus gekannt. „Erzähl mir noch einmal die Geschichte der Walyarima“, lenkte er ein.

Cunhatai lächelte. Die Erzählung war stets das Ende dieser Unterhaltungen. Piata musste schon jedes