2 Serious Business
65 verdammte Dollar. Mehr braucht es nicht, um dein Leben aus der Bahn zu werfen. Nein. Nicht nur aus der Bahn zu werfen, sondern in die Seite eines Berges zu rammen – wie eine Lokomotive, die entgleist.
Deshalb arbeitete Andrew Duran hier in der Mitternachtsschicht. Auf einem Abschlepphof an der East Side, zusammengepfercht in einer Kabine, die nicht viel größer war als eine Hundehütte. Die Luft war erfüllt von dem überwältigenden Dunst des Old Spice-Deos, mit dem sich Juan, der die Schicht vor Andrew hatte, geduscht haben musste. Mit dem Mindestlohn kam Duran auf 420 Dollar pro Woche, aber wenn er die Abgaben für Sozialversicherung, Krankenkasse und Lohnpfändung abzog, blieben ihm nur noch 300. Das waren etwa 500 Dollar weniger als das, was er für den Unterhalt seines Kindes, Essen und ein Dach über dem Kopf brauchte. Aber er hätte genauso gut abgerauchte Zigarettenstummel in Kalkutta verkaufen können, deshalb beschwerte er sich nicht.
Perspektive. Genau darüber reden sie in all den Selbsthilfe-Podcasts.
Darüber haben sie auch während der Treffen gesprochen. Nur die Gnade Gottes hilft. Schön einen Tag nach dem anderen. Denn nichts ist so schlimm, als dass es ein Drink nicht noch schlimmer machen könnte.
Das waren nur Sprüche, sicher, aber er hatte schon zu viel verloren, um sie nicht zu beachten. Andrew hattealles verloren.
Er seufzte, starrte durch das fettverschmierte Fenster und war der Herrscher über alles, was er erblicken konnte. Ein Labyrinth aus abgeschleppten Schrottkarren: verrostete VW-Käfer, zertrümmerte Ferraris, verbogene Muscle-Cars. Einige hatten Blutspritzer auf den Kopfstützen, andere Kratzspuren im Lack, da, wo die Drogenspürhunde fündig geworden waren. Ein paar der Wägen fehlten die Räder – sie waren auf einem Anhänger hierhergebracht und zum Sterben zurückgelassen worden.
Durans Aufgabe war es, auf sie aufzupassen und ein Wirrwarr von Formularen zu unterschreiben; etwa wenn Polizisten, Abschleppwagenfahrer oder auf Kaution freigelassene Besitzer kamen, um sie abzuholen.
Das war Kopfarbeit.
Wie er vom eigenen Haus – auch wenn es ein Bungalow in El Sereno gewesen war – ausgerechnet hier landen konnte, würde er nie erfahren. Warte, streich das. Er wusste es genau.
65 verdammte Dollar. Für einen beschissenen Strafzettel, der ihm für zwanzig Sekunden unbezahlter Parkzeit aufgedrückt wurde, als er für Wechselgeld in einen Schnapsladen rannte. Das war vor 18 Monaten, auf dem Weg zu seinem Kumpel im Kern Valley State Prison in Bakersfield. Zwanzig Sekunden – länger hatte er nicht gebraucht.
Duran konnte den Strafzettel nicht begleichen, weil er Brianna versprochen hatte, in diesem Monat den Unterhalt für Sofia zu zahlen. Sie wurde elf Jahre alt und brauchte dringend bessere Kleidung für die Mittelschule. Das hatte sie auch verdient, dafür, dass sie im Leben eine Niete gezogen und ihn als Vater bekommen hatte.
Also konnte er wenigstens versuchen, Bri dabei zu helfen, ihr ein paar Hemden von Walmart, statt wie üblich von der Heilsarmee, zu besorgen. Vielleicht würden sich die anderen Kinder dann nicht so über seine Tochter lustig machen, wie er es seine ganze verdammte Kindheit lang über sich hatte ergehen lassen müssen.
Also gab er die 65 Dollar für seine Tochter aus, anstatt für die Verkehrsbehörde von Bakersfield. Als er ein paar Wochen später wegen eines kaputten Rücklichts angehalten wurde (25 Dollar Bußgeld, 2 Dollar Aufschlag, 35 Dollar Gebühr für die gerichtliche Entlassung, 115 Dollar für Ersatzteile und den Aufwand, das Scheißteil tatsächlich zu reparieren), erlebte er eine weitere Überraschung, als der Polizist das Kennzeichen überprüfte: Ein offener Haftbefehl. Es stellte sich heraus, dass Johnny Mac, Durans Vorgesetzter bei der Dachinspektion, ein halbes Dutzend Strafzettel kassiert hatte, als er sich Durans Auto für die Mittagspause ausgeliehen hatte. Und er hatte jeden Einzelnen davon zerrissen, wie der irische Kobold, der er war. Zu allem Überfluss erfuhr Duran, dass er bereits einen Gerichtstermin verpasst hatte, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass er ihn gehabt hatte und das Nichterscheinen war eine ernste Angelegenheit, selbst wenn es eigentlich um Johnny Macs Strafzettel ging.
Der Polizist hatte jede einzelne Verspätungsgebühr aufgeschrieben, jeden Bußgeldbescheid und jeden Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Und die aufgelaufenen Bußgelder verdreifachten sich, bis sie mehr Nullen hatten als das Staatsdefizit.
Duran hatte gespürt, wie er auf dem Fahrersitz zusammensackte – wie ein Boxer nach einem sauberen rechten Harken. »Das ist doch Schwachsinn!«, hatte er gestammelt. »Ich war gerade auf dem Weg, das Ding zu reparieren.«
»Du bist einer von der Sorte, was?«, hatte der Polizist entgegnet. »Nie an etwas Schuld, ist doch so?«
»Nein«, hatte Duran erwidert. »Ich mache Fehler, genau wie jeder andere auch. Aber Typen wie ich kriegen einfach keine Pause, wenn sie sie brauchen.«
Ungerührt hatte der Polizist das Bün