»Mama! Jetzt wach endlich auf. Ich komme zu spät zur Schule!«
Die Stimme meiner Tochter dringt wie durch einen Nebel zu mir hindurch. Ihre kleinen Hände rütteln an meiner Schulter, sodass ich nun vollends aus dem Schlaf gerissen werde. Müde drehe ich mich zu ihr um.
»Guten Morgen, mein Schatz. Wie spät ist es?«
Ich kann die Uhrzeit auf meinem Wecker nicht sehen, da Nina davorsteht und mir die Sicht versperrt. Schmunzelnd betrachte ich ihre blonden Zöpfe, die zerzaust und schief von ihrem Kopf abstehen. Heute hat sie sich die Haare selbst gemacht.
»Halb acht«, antwortet sie sofort. Erschrocken schlage ich die Decke zurück und falle beinahe aus dem Bett. Kichernd tritt Nina einen Schritt nach hinten.
»Mist. Ich habe den Wecker nicht gehört«, brumme ich und verziehe mich sogleich ins Badezimmer, wo ich mir notdürftig Wasser ins Gesicht spritze und meine Haare zu einem Knoten am Hinterkopf frisiere. Dann schminke ich mich in Windeseile, damit ich auf der Arbeit nicht zu übernächtigt aussehe. Meine Tochter kommt zu mir und setzt sich auf den Wannenrand. Mit der Zahnbürste im Mundwinkel drehe ich mich zu ihr um.
»Hast du dir die Zähne geputzt?«, frage ich sie. Nina nickt. »Und Frühstück?«
»Müsli«, antwortet sie sofort. Mit einem wehmütigen Lächeln betrachte ich meine Kleine. Sie ist mit ihren fast sieben Jahren viel zu erwachsen. Manchmal stimmt es mich traurig, weil meine Tochter schon früh gelernt hat, selbstständig zu sein. Dann bin ich wiederum verdammt stolz auf sie. Ich spucke die Zahnpasta ins Waschbecken, dann gehe ich zu Nina rüber und nehme sie fest in den Arm.
»Ich bin stolz auf dich, mein Schatz«, flüstere ich ihr ins Ohr und küsse ihre Stirn. Nina grinst mich breit an.
»Ich auch auf dich, Mama«, erwidert sie und drückt ihr Gesicht an meine Brust. Einen Moment verharren wir so, dann entlasse ich sie aus meiner Umarmung, sonst kommen wir tatsächlich zu spät zur Schule.
»Komm, ich richte mal deine Frisur. Danach müssen wir los.«
Nina nickt und löst einen ihrer Zöpfe, damit ich ihr die Haare kämmen und neu frisieren kann. Dann verlässt sie das Bad und holt den Schulranzen aus ihrem Kinderzimmer. Ich flitze zurück ins Schlafzimmer und zerre Bluse und Hose aus dem Schrank, schlüpfe hinein und greife nach meiner Handtasche.
»Willst du nichts essen?«, fragt Nina mit einem besorgten Gesichtsausdruck. »Ich habe dir ein Brot geschmiert.«
»Das nehme ich mit zur Arbeit«, erwidere ich und hole mir mein Frühstück aus der Küche, das ich in die Handtasche stecke. Gemeinsam mit Nina verlasse ich die Wohnung. Unten im Hof schließe ich mein Fahrrad auf und will mich schon zu meinem Kind herunterbeugen, um sie in den Kindersitz zu heben, als mir auffällt, dass sie ihren Helm nicht dabeihat.
»Oh, Mist. Warte kurz hier, ich hole deinen Helm.« Sofort stürme ich wieder die Treppen hinauf bis zur Dachgeschosswohnung, die meine Tochter und ich bewohnen. Im Flur finde ich ihren Helm unter einem Stapel Jacken und Pullover, die ich letzte Woche nicht weggeräumt habe. Nach Feierabend sollte ich endlich mal Ordnung schaffen, denn seit Tagen suche ich vergebens Notizbücher und Hefte, die ich für die Arbeit benötige. Auch Nina hatte sich beklagt, weil sie ihr Lieblingsstofftier nicht finden konnte. Als alleinerziehende Mutter ist es nicht immer leicht, Job, Haushalt und Kinderbetreuung unter einen Hut zu kriegen. Bisher habe ich die Situation jedoch irgendwie gemeistert, auch wenn mir manchmal alles über den Kopf wächst.
Seufzend schließe ich die Tür hinter mir und gehe zurück in den Hof. Bis Unterrichtsbeginn bleiben uns nur noch zehn Minuten, weshalb ich noch schneller als üblich in die Pedale trete. Vor dem Eingang der Grundschule verabschiede ich mich von meiner Tochter, die sogleich ins Innere des Gebäudes läuft.
Gähnend steige ich wieder aufs Fahrrad. Meine Schüler werden noch ein wenig auf mich warten müssen, auch wenn das Gymnasium, an dem ich unt