1. KAPITEL
„Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung! Oder Sie können Ihre Sachen packen und gehen!“
Paige Harper blickte auf – geradewegs in die dunklen, zornig funkelnden Augen ihres Chefs. Sie brachte kein Wort heraus. Er sah schon von Weitem unglaublich attraktiv aus, aber jetzt, so direkt vor ihr, war er einfach umwerfend. Auch wenn er gerade vor Wut tobte. Es fiel ihr schwer, ihren Blick wieder von ihm loszureißen. Sie sah auf die Zeitung, die er auf den Schreibtisch geschleudert hatte. Schlagartig wurde ihr eiskalt.
„Ach …“ Sie griff nach dem Blatt. „Das …“
„Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“
„Ich …“
„Ich hatte gesagt, Sie sollen mir das erklären, Ms Harper! ‚Ach‘ ist meines Wissen nach keine Erklärung. Zumindest nicht in einer mir bekannten Sprache.“ Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Paige fühlte sich, als würde sie auf Daumengröße schrumpfen.
„Ich …“ Sie las die Schlagzeile auf der Lifestyle-Seite:Dante Romani knüpft Bund der Ehe mit Angestellter . Darunter befanden sich zwei Fotos. Eins von Dante, der unverschämt gut aussah in seinem maßgeschneiderten Anzug. Und eins von ihr. Im Schaufenster des Colson, wo sie auf einer Leiter stehend die Weihnachtsdekoration anbrachte. „Ich …“, stammelte sie erneut, während sie den Artikel überflog.
Dante Romani, Eigentümer der Colson-Kaufhauskette und berühmt-berüchtigt für seinen rauen Geschäftsstil, machte erst kürzlich Schlagzeilen, weil er gnadenlos einen seiner Topmanager, noch dazu einen Familienvater, gefeuert und durch einen jungen, ledigen Mann ersetzt hatte. Jetzt will er offensichtlich den Bund der Ehe eingehen und hat sich mit einer seiner Angestellten verlobt. Man fragt sich, ob es das Hobby dieses skrupellosen Geschäftsmannes ist, mit seinem Personal Spielchen zu treiben. Sie entweder zu feuern – oder für ewig an sich zu binden.
Ihr Magen krampfte sich vor Panik zusammen. Wie konnte das in die Zeitung gelangen? überlegte Paige entsetzt. Seit ihrer Notlüge im Gespräch mit der Sozialarbeiterin hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie die Sache wieder hinbiegen könnte, jedoch gehofft, es bliebe ihr mehr Zeit. Und nie hätte sie mit etwas Derartigem gerechnet! Nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen!
Aber jetzt starrte sie ihr schwarz auf weiß entgegen – die unverschämteste Lüge des Jahrhunderts.
„Ich habe gelogen“, gestand sie.
Mr Romani sah sich im Büro seiner Angestellten um. Überall stapelten sich Stoffmuster und Schachteln, aus denen Perlenschnüre hervorlugten. Spraydosen und Farbeimer standen in der Ecke, und jede freie Oberfläche war mit Weihnachtsschmuck bedeckt. Er wandte sich ihr wieder zu und verzog den Mund zu einem kalten Lächeln. „Wenn ich es mir recht überlege: Lassen Sie das mit dem Packen. Gehen Sie einfach. Ich lasse Ihnen die Sachen nachschicken.“
„Nein! Bitte … ich kann Ihnen alles erklären …!“ Sie durfte ihren Job nicht verlieren. Sie brauchte ihn. Außerdem duften das Jugendamt und Rebecca Addler von der Adoptionsstelle auf keinen Fall erfahren, dass sie gelogen hatte. Sie wünschte sich sehnlichst, die Sache wieder rückgängig machen zu können. Natürlich eine vergebliche Hoffnung!
Sie senkte den Blick und las weiter:
Es fällt einem schwer, sich vorzustellen, dass jemand, der erst kürzlich einen Mann gefeuert hat, der seine Familie über den Gott Mammon stellte, sich plötzlich selbst zu einem Familienvater entwickeln sollte. Die Frage dürfte sein: Wird es dieser unscheinbaren Durchschnittsfrau gelingen, diesen eiskalten Geschäftsmann zu bekehren? Oder wird man sie der langen Liste der privaten wie geschäftlichen „Opfer“ Dante Romanis hinzufügen müssen?
Durchschnittsfrau! Klang wirklich ganz nach ihr. Selbst in dieser Lügengeschichte, derzufolge sie mit dem begehrtesten Milliardär der Stadt verlobt war, wurde sie als Durchschnittsfrau bezeichnet!
Sie schluckte und sah zu ihrem Chef auf, der sie immer noch wütend anstarrte. „Wirklich ganz schlechter Journalismus, dieser Artikel. Nichts als Sensations- und Meinungsmache. Unterstes Niveau, würde ich sagen …“
Dante unterbrach sie mit kaltem Blick. „Was haben Sie sich davon nur erhofft? Wollten Sie einfach mal so zum Spaß ein Gerücht in die Welt setzen? Oder wollten sie etwas Bestimmtes erreichen?“
Sie erhob sich mit zitternden Knien. „Nein, ich …“
„Sie mögen vielleicht keine Zeitungsmeldung wert sein, Ms Harper, ich hingegen schon.“
„Also bitte!“ Diese Bemerkung traf. Noch dazu, nachdem sie eben lesen musste, sie sei unscheinbar und durchschnittlich. Allerdings, wenn man die Fotos von ihnen beiden verglich, konnte man den Ausdruck durchaus noch als Beschönigung betrachten.
„Habe ich Sie womöglich beleidigt?“
„Ein bisschen.“
„Glauben Sie mir, das war nichts im Vergleich dazu, wie es mir ging, als ich ins Büro kam und entdecken musste, mit jemandem verlobt zu sein, mit dem ich bisher keine fünf Sätze gewechselt habe.“
„Eigentlich sitzen wir doch beide im selben Boot. Ich hätte nicht im Traum gedacht, diesen Artikel in der Zeitung zu sehen. Ich dachte, niemand würde es herausbekommen.“
„Dummerweise hat es aber doch jemand herausbekommen. Sogar ich! Deshalb würde ich vorschlagen, Sie verschwinden jetzt möglichst unauffällig. Ich möchte wirklich nicht den Sicherheitsdienst rufen müssen.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zur Tür.
Paige glaubte, ihr Herz würde stillstehen. „Mr Romani! Lassen Sie mich doch bitte wenigstens alles erklären!“, flehte sie. Wenn nötig, wäre sie sogar vor ihm auf die Knie gesunken. Aber au