: A. A. Kästner
: Die Freiheit so nah Roman nach einer wahren Geschichte
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426467664
: 1
: CHF 13.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die letzten Jahre der DDR: Der Roman »Die Freiheit so nah« erzählt eine wahre Geschichte um lebenslange Freundschaft und bittersten Verrat. Eine Beerdigung führt 2016 den Rostocker Kay und seine Clique aus Schulzeiten wieder zusammen. Erinnerungen werden wach: an die unbeschwerte Jugend Anfang der 80er Jahre, aber auch an geplatzte Träume und die Enge des DDR-Systems.  Die acht Freunde galten als unzertrennlich, vertrauen einander zutiefst - bis der erste aus der Clique wegen versuchter Republikflucht verhaftet wird. Weitere Festnahmen folgen und bald taucht der Verdacht auf, dass der Verräter in den eigenen Reihen zu suchen ist. Kay, dem das Seefahrtsbuch und damit die Berufsperspektive genommen wurde, beschließt, mit den zwei verbliebenen Freunden über die Ostsee zu entkommen. Doch dann geschieht das Unfassbare ... Bewegend und hochspannend fängt A. A. Kästners zeitgeschichtlicher Roman die besondere Atmosphäre in den letzten Jahren der DDR ein und stellt die Frage, unter welchen Umständen eine schwere Schuld vergeben werden kann - oder ob manche Taten unverzeihlich bleiben. Die wahre Geschichte beruht auf der Biografie des Ehemanns der Autorin.

A.A. Kästner wurde 1966 in Hamburg geboren. Nach ihrem Studium der Psychologie arbeitete sie seit 1994 in der Psychiatrie, bevor sie sich 2005 als promovierte Psychotherapeutin mit eigener Praxis selbstständig machte. Bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Kriseninterventionsteam des DRK lernte sie ihren heutigen Ehemann, den Hauptkommissar der Wasserschutzpolizei Andreas Kästner kennen, auf dessen Leben der Roman basiert. Unter dem Namen Angélique Mundt hat sie bislang vier Romane und ein Sachbuch verfasst, die im btb Verlag erschienen sind.

1. Kapitel


Rostock-Parkentin, Oktober2016

Das Leben hatte es nicht immer gut mit ihnen gemeint.

So wie das Leben selten das tat, was man von ihm erwartete.

Für Kay war das ein vertrauter Gedanke. Dennoch erschrak er, in welchem Zustand einige von ihnen hier, am ländlichen Zufluchtsort eines der Freunde, aufgekreuzt waren. Ausgebeulte Jeans, verschlissene Pullover und ausgelatschte Schuhe. Was hatte er erwartet?

Er kam zu spät und sah die Gruppe unter den Birken am hinteren Rande des Hofes mit hochgezogenen Schultern wie erstarrt im Halbkreis stehen. Der Wind pfiff ihm um den Kopf und wirbelte erste goldene Blätter umher. Dramatische Wolkenbänke schoben sich über den Himmel und bildeten die Kulisse für diese ungewöhnliche Feier.

Er ging langsamer. Weil die Freunde ihm den Rücken zuwandten, sahen sie ihn nicht kommen. Wenn er sich jetzt umdrehen und zu seinem Auto zurückkehren würde, hätte ihn niemand bemerkt.

Aber er lief nicht weg. Das war nicht seine Art, doch seine Schritte wurden mit jedem Meter kürzer. Ein Mann, den Kay nicht kannte, hielt eine Rede, aber der Wind verwehte die Worte, und so ließ Kay seinen Blick über die Mitglieder der Clique wandern. Sie waren alle gekommen. Natürlich. Wenn man sie brauchte, waren sie da.

Hannes Krissler stand etwas abseits. Sinnbildlich. Er war der Einzige von ihnen, der Rostock nie dauerhaft verlassen hatte. Der Intellektuelle der Truppe, der nicht von seinen Gaben profitiert hatte. Früher hatte er unheimlich gewirkt, heute konnte sich Kay nicht mehr erklären, wo dieser Eindruck herrührte. Für einen Mann aus der Babyboomer-Generation war er extrem schlank und asketisch. Nicht der Hauch eines Bierbauchs unter dem schwarzen Rollkragenpullover. Im Moment stand er verlegen da, die Hände in den Hosentaschen vergraben, als wisse er nicht, wohin mit ihnen. Vielleicht, weil er keine Zigarette in der Hand hielt.

Hannes weinte still.

Kays Blick wanderte weiter.

Einen Pastor gab es nicht.

Einige hatten ihre Frauen mitgebracht. Kay war allein gekommen und trug als Einziger einen schwarzen Anzug.

Ricksen bemerkte ihn als Erster. Tränenüberströmt deutete er mit der Bierflasche in der zitternden Hand einen Gruß an. Kay und er kannten sich seit fünfundvierzig Jahren, hatten jedoch den Draht zueinander verloren. Ricksens jahrzehntelange Alkoholexzesse und unzählige Zigaretten hatten geistig und körperlich Spuren hinterlassen. Kay wunderte sich, dass er aufrecht stand, so entkräftet wirkte er, so gebrechlich und zerknittert. Die zweistündige Fahrt von Hamburg zum Hof in Rostock-Parkentin dürfte ihm alles abverlangt haben, denn normalerweise beschränkte sich Ricksens Aktionsradius auf den Weg zwischen Wohnung und Kiosk. Wahrscheinlich hatte sein Zwillingsbruder Alexander ihn mitgenommen. Die beiden hatten schon immer aneinandergeklebt.

Kay lächelte, denn man konnte Ricksen nur lieben, und die Schnapsdrossel wäre auch gekommen, wenn er den Weg zu Fuß hätte zurücklegen müssen. Er stellte sich stumm neben ihn in den Halbkreis. Was hätte er auch sagen sollen?

Von der anderen Seite stieß ihn Oliver mit dem Ellenbogen an. »Ich dachte, du traust dich nicht«, flüsterte er.

Damit hatte Oliver nicht ganz unrecht. Kay hatte schmerzhaft lernen müssen, dass es verdammt viel Mut kostete, jemanden zu verabschieden, den man nicht ziehen lassen wollte. Damals auf dem Bahnsteig. Als er seine Eltern und seine Schwester in den Armen hielt und davon ausging, dass sie sich niemals wiedersähen. Heute wurdeer verlassen. Ein geliebter Mensch ließ ihn allein zurück. Es fühlte sich irreal an. Ungläubig hatte er die Nachricht von ihrem Tod aufgenommen, und seither schwoll der Kloß in seinem Hals an.

»So ist es immer«, murmelte Oliver wissend. Er hatte seine Eltern vor vielen Jahren beerdigt. »Wusstest du, dass er verbotenerweise die Urne auf den Hof gebracht hat?« Er verzog das Gesicht. »Typisch.«

Oliver, dem Ängstlichen unter ihnen, war es