Kapitel1
Manchmal denke ich, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der nicht gern Geburtstag hat. Alle finden, dass dieser Tag etwas ganz Besonderes sein muss, besser als alle anderen Tage des Jahres: Man hat mehr Spaß als sonst, es gibt das beste Essen aller Zeiten, man fühlt sich besonders geliebt. Der Druck ist so groß, dass es sich zwangsläufig anfühlt, als müsse man sich für einen tiefen Sturz rüsten, falls dieser Tag die Erwartungen nicht erfüllt. Und dieses Jahr, an meinem fünfunddreißigsten Geburtstag, spüre ich das aus einem unerfindlichen Grund noch stärker.
Älter zu werden hat mir nie Kopfzerbrechen bereitet. Ich geriet in keine Midlife-Crisis, als ich dreißig wurde, und ich fürchte mich auch nicht bei der Vorstellung, irgendwann vierzig oder fünfzig zu sein. Deshalb ist mir schleierhaft, warum ich mich schon die ganze Woche wegen meines fünfunddreißigsten Geburtstags verrückt mache. Es ist ja nicht einmal ein »runder«.
Zwar habe ich weder Ehemann noch Kinder – früher hatte ich angenommen, in diesem Alter wäre beides schon da –, aber dafür gibt es andere Dinge in meinem Leben, für die ich dankbar bin. Eine Wohnung, die mir ganz allein gehört. Ein Freund, der echt süß und humorvoll ist und der keine Eile hat, in unserer Beziehung Nägel mit Köpfen zu machen. Ich bin Mitgeschäftsführerin eines erfolgreichen Unternehmens. Und dennoch kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass es irgendwie bedeutsam ist, fünfunddreißig zu werden.
Ich gehe einen Schritt schneller in Richtung des Cafés, in dem ich mit Dad und Layla verabredet bin. Die beiden werden mich hoffentlich auf andere Gedanken bringen. Ein kühler Wind pfeift, und ich ziehe meine Strickjacke über der Brust fest zusammen. Es ist Juni, beinahe Sommersonnenwende, aber das Wetter hat heute rein gar nichts von Sommer an sich.
Als ich das Café betrete, entdecke ich Dad sofort an dem Tisch in der Ecke.
»Da kommt ja das Geburtstagskind!«, ruft er laut genug, dass alle Gäste es hören. Er faltet die Tageszeitung zusammen und legt sie auf den Tisch, bevor er aufsteht, um mich zu drücken. »Alles Gute zum Geburtstag, Liebes. Fünfunddreißig, meine Güte!«
»Danke, dass du mich daran erinnerst.« Aus den Augenwinkeln suche ich den Tisch nach diskret platzierten Geburtstagsdekorationen ab. Dad weiß, dass ich jegliches Aufhebens um meinen Geburtstag nicht ausstehen kann. »Wie schön, dass du mein Deko-Verbotendlich akzeptierst.«
Mir entgeht nicht das Aufblitzen in seinen Augen, als er versucht, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Was hast du angestellt? Ich habe nur zugestimmt, dich hier und nicht im Büro zu treffen, weil ich keine große Sache daraus machen will.«
Dad und ich leiten gemeinsam unser Unternehmen für Bürobedarf, und in den vergangenen Jahren hat er meinen Arbeitsplatz zum Geburtstag stets mit Luftballons, Spruchbändern und Luftschlangen dekoriert – und es gab eine Rede. Ich hasse Reden.
Die Glocke über der Tür des Cafés ertönt, und Layla kommt hereinspaziert, eine unserer Mitarbeiterinnen, die im Laufe der Jahre auch zu meiner besten Freundin geworden ist. Eine Kellnerin mit einem Tablett voller heißer Getränke biegt um die Theke, und Layla hätte sie beinahe mit zwei pinkfarbenen Helium-Zahlenballons touchiert, die sie hinter dem Rücken vorzieht.
»Tut mir sehr leid«, entschuldigt sie sich bei der Kellnerin und versucht, die Drei und die Fünf unter Kontrolle zu bringen, bevor sie bei mir ankommt. »Alles Gute zum Geburtstag, Edie.«
»Hast du vergessen, auchLayla das Memo mit der Bitte, jegliches Aufhebens zu unterlassen, zu schicken?«, fragt Dad lachend und ignoriert geflissentlich, dass ich die Augen verdrehe.
Ich beiße die Zähne zusammen, stehe auf, um Layla zu umarmen, und sie bindet die Ballons an meinem Stuhl fest.
»Heute willmich wohl niemand vergessen lassen, wie alt ich werde.«
»Wenn du erst einmal in meinem Alter bist, brauchst du deutlich mehr Erinnerungen«, sagt Dad. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn tief in meinem Herzen weiß ich ja, dass die beiden das alles nur tun, weil ich ihnen wichtig bin. »Ich bestelle dann mal