: Durs Grünbein
: Der Komet Der Lebensweg einer einfachen Frau bis zum Untergang Dresdens
: Suhrkamp
: 9783518777282
: 1
: CHF 27.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 282
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Im Mittelpunkt dieses Berichts steht eine Frau aus einfachen Verhältnissen. Es geht um das Leben von Dora W., die aus Schlesien nach Dresden kommt, mit sechzehn Mutter wird und mit fünfundzwanzig den Untergang der Stadt im Bombenkrieg miterlebt. Ziegenhüterin auf dem Lande, dann Ladenmädchen und Gärtnereigehilfin in einer niederschlesischen Kleinstadt sind ihre ersten Lebensstationen, bevor sie in dem Schlachtergesellen Oskar den Mann fürs Leben findet und ihm nach Dresden folgt, um dort eine Familie zu gründen. Eine kurze Zeit ist ihr dort geschenkt; es sind ihre goldenen Jahre, wie es scheint, aber dann stürzt die Perspektive, und es ereilt sie wie alle anderen der Krieg und mit ihm das Ende Dresdens in einer von Großmachtstreben und Rassenwahn vergifteten Gesellschaft.

Mit ihrer Geschichte verfolgt der Autor ein Einzelschicksal im historischen Kontext vor und nach dem Einmarsch des Nationalsozialismus in jedes einzelne Leben. Was macht die Diktatur aus den Menschen, die ihren Anforderungen kaum gewachsen sind und sich recht und schlecht durchschlagen? Dabei gewinnt das Auftauchen des Halleyschen Kometen im Jahre 1910, der Weltuntergangsphantasien befeuerte, eine symbolische Bedeutung für die Vernichtung der sächsischen Metropole im Feuersturm des Februars 1945.

Am Beispiel von Dora W. wird erzählt, wie Geschichte den Geschichtslosen widerfährt, zuletzt als Schrecken und zu späte Einsicht.



<p>Durs Grünbein wurde am 9. Oktober 1962 in Dresden geboren. Er ist einer der bedeutendsten und auch international wirkmächtigsten deutschen Dichter und Essayisten. Nach derÖffnung des Eisernen Vorhangs führten ihn Reisen durch Europa, nach Südostasien und in die Vereinigten Staaten. Er war Gast des German Department der New York University und der Villa Aurora in Los Angeles. Für sein Werk erhielt er eine Vielzahl von Preisen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Friedrich-Nietzsche-Preis, den Friedrich-Hölderlin-Prei , den polnischen Zbigniew Herbert International Literary Award sowie den Premio Internazionale NordSud der Fondazione Pescarabruzzo. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachenübersetzt. Er lebt in Berlin und Rom.</p>

2


Im Schnellzug von Liegnitz kommend, war sie mit einem einzigen Koffer nach Dresden aufgebrochen, hatte ihr Mädchenleben hinter sich gelassen. In Schlesien waren die Felder noch schneebedeckt, unter bleichen Himmeln ging es gen Westen, dann zog sich der Vorhang zu, graue Wolkenwände zur Begrüßung im Sachsengau. Hinter Görlitz hatten starke Regenfälle eingesetzt und die Zugfenster besprenkelt, man sah nur noch Wasserschnüre an den Scheiben herablaufen – Freudentränen, sie liebte den Regen, der hatte ihr immer Glück verheißen wie ein guter alter Bekannter, der einem auf die Schulter klopfte und zum Alleinsein ermunterte. Gerade erst war sie sechzehn geworden, den Geburtstag hatte sie ohne die Familie gefeiert, in aller Stille, wie man von einer Beisetzung sagt, mit einer Kollegin aus der Blumenhandlung in Goldberg. Die hatte sie zu ihrem flotten Fang beglückwünscht wie zu einem Lottogewinn: »Mensch, Dorle, du Glückspilz. Du gehst nach Dresden, und da wartet auf dich ein Mann!«