: Bruno Monsaingeon
: Ich denke in Tönen Gespräche mit Nadia Boulanger
: Berenberg Verlag GmbH
: 9783949203619
: 1
: CHF 19.90
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Lehrer, Freund und Inspirator vieler ­berühmter Komponisten, Pianisten, Musiker und Intellektueller im 20. Jahrhundert war eine Frau: Nadia Boulanger hat das musikalische Geschehen ihrer Zeit bestimmt wie niemand sonst, und aus diesen ebenso klugen wie unterhaltsamen Gesprächen mit Bruno ­Monsaingeon erfährt man, warum. Die Liste ihrer Schüler ist lang und prominent: ­Leonard Bernstein und Igor Strawinsky blieben ihr zeitlebens ergeben, mit Ravel machte sie Hausaufgaben, berühmt gewordene junge Künstler wie Philip Glass und Quincy Jones hatten ihr viel zu verdanken. Der große Paul Valéry sagte über seine Freundin: »Sie atmet, was wir hören.« »Mit ihrem einzigartigen Charakter hat sie Generationen von Musikschaffenden geprägt. Viele von Nadia Boulangers Schülerinnen und Schülern zählen heute zu den bedeutendsten Komponistinnen und Komponisten des ­20. Jahrhunderts, während sie selbst als wegweisende Lehrerin vielen Menschen immer noch unbekannt ist.« Boulanger Trio

Bruno Monsaingeon, geboren 1943, ist ein französischer Geiger, Filmregisseur und Schriftsteller. Vor allem seine Filmdokumentationen über die Pianisten Glenn Gould und Swjatoslaw Richter gelten als zeitgeschichtliche Zeugnisse. Sein Buch Swjatoslaw Richter: Mein Leben, meine Musik erschien 2015 auf Deutsch (Staccato).

Die Aufmerksamkeit


Ich bin ein einziges Mal in Athen gewesen, drei Stunden lang. Das hat mein ganzes Leben für immer verändert. Ich habe die Akropolis gesehen, ich habe das gesehen, was all das ausmacht, was wir sind, all das, was wir an Kostbarem, Ernstem, Freudigem in uns tragen. »Weil uns die Leidenschaft umtreibt, haben die Griechen Minerva auf den Altar gestellt«, hat Maurras geschrieben. Als Kind habe ich von Griechenland geträumt, und das WortGrèce hat in mir mehr heraufbeschworen, als ich wirklich zu begreifen verstand.

Ich hatte das Glück, von einer unwahrscheinlich klugen Mutter erzogen zu werden. Sie liebte mich – vor meiner Geburt hatte sie ein Kind verloren, ich war dann wie ein Wunder, das ins Haus kam, aber so sehr liebte sie mich nicht, dass sie nicht unerbittlich in ihrem Urteil gewesen wäre. Es gab etwas, das sie niemals zuließ: mangelnde Aufmerksamkeit. Ich bin groß geworden in dem Bewusstsein, dass es ausgeschlossen ist, nicht ganz genau achtzugeben, weil ohne Aufmerksamkeit kein Bewusstsein von der eigenen Individualität möglich ist. Das ist es, was mir am häufigsten zu fehlen scheint, und im Grunde ist