: Alfons Söllner
: Das Jahrhundert der Flüchtlinge Rückblicke auf die deutsche Asylpolitik
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863936440
: 1
: CHF 9.90
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 196
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Die aktuelle Asylpolitik birgt ein Zeichen der Hoffnung, nicht nur, weil sie den Kriegsflüchtlingen unter die Arme greift, sondern auch, weil sie der politischen Lähmung in Europa entgegenarbeitet.' 'Wir schaffen das!' - Der Satz der deutschen Kanzlerin aus dem Sommer 2015 ist sprichwörtlich geworden, aber die in ihm steckende Prognose wurde auch belächelt: Stand er für eine Selbstüberschätzung der Deutschen oder hat er eine Wendung der europäischen Asylpolitik in die Wege geleitet? Die Analyse der nationalen und globalen Entwicklungen auf dem Feld der Flüchtlingspolitik zeigt, dass politische Slogans nicht ausreichen. Es bedarf der Auseinandersetzung mit den rechtlichen und bürokratischen Realitäten, um zu verstehen, wie problematisch die Situation von Flüchtlingen nach wie vor ist. Alfons Söllner, der sein Forscherleben dem Erbe der Hitler-Flüchtlinge widmete, hat sich in den vergangenen 35 Jahren immer wieder mit der aktuellen Asyl- und Flüchtlingspolitik auseinandergesetzt. In den hier zusammengestellten Aufsätzen zeichnet Alfons Söllner ein differenziertes Bild von Geschichte und Gegenwart der Asylpolitik nach 1945, die Analyse der sie begleitenden wissenschaftlichen Diskussionen bekundet zugleich, wie sehr das Thema ihn persönlich berührt. Während die Texte vor der Jahrtausendwende noch vehement Kritik an der Aushöhlung des bundesdeutschen Asylrechts artikulieren, lassen die späteren Texte liberalere Tendenzen erkennen. Die großzügige Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland und Europa ist ein Zeichen der Hoffnung - und ein energischer Einspruch gegen den Krieg.

Alfons Söllner, geb. 1947, Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in Regensburg, München und Harvard, Promotion 1977 an der LMU München, Habilitation 1986 an der FU Berlin. Er ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte und lehrte bis 2012 an der Technischen Universität Chemnitz. Publikationen u.a.: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Ihre Akkulturation und Wirkungsgeschichte samt einer Bibliographie, Opladen 1996; Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 2006; (Hrsg.) Deutsche Frankreich- Bücher aus der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden 2011; (Hrsg. zus. mit Michael Wildt) Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Hamburg 2018; Political Scholar. Zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2018; ad Hannah Arendt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Hamburg 2021.

Einleitung


I. Zu früh! – Ich entsorge meine Asylbibliothek


Der Titel variiert einen Topos der Intellektuellenkultur. Während seine klassische Version dem Schreibenden nur noch einmal bestätigt, wie sehr ihm „seine“ Bücher ans Herz gewachsen sind, ja, dass ihre Ordnung oder die Neuordnung nach einem Umzug die emotionale Bindung an sie nur noch verstärkt, befinde ich mich auf dem gegenläufigen, einem abschüssigen Pfad: Ich möchte meine Asylbücher loswerden, und meine inständige Hoffnung erstreckt sich nur mehr darauf, dass sie nicht wirklich „entsorgt“ werden müssen, sondern einen gnädigen Abnehmer finden, der mit ihnen noch etwas anfangen kann. Meine Gefühle sind also wehmütiger Art, und ich frage mich, ob ich nicht etwas versäumt habe, da das Problemfeld von Vertreibung und Flucht doch keineswegs erledigt, vielmehr in periodischen Krisenzyklen wiedergekehrt ist, allerdings mit dem Unterschied, dass es inzwischen von einer mehr oder weniger etablierten Forschergemeinde beackert wird. Im Vergleich damit ist meine Bibliothek veraltet, deckt nur die Periode bis zur Jahrtausendwende ab, weshalb zu befürchten ist, dass sie von der „Berliner Stadtreinigung“ beerdigt werden könnte.

Als ich vor zehn Jahren mein Amtszimmer an der Technischen Universität Chemnitz zu räumen hatte, verschenkte ich die Hälfte meiner politikwissenschaftlichen Fachbücher an die verbleibenden AssistentInnen, einige Kisten mit ihnen moderten trotzdem noch eine ganze Weile im Institutsgang vor sich hin. Die Asylbücher hingegen hatte ich säuberlich zusammengestellt, in zwei Umzugskartons verpackt und nach Berlin geschafft, wo sie allerdings nicht im pensionierten Arbeitszimmer Platz fanden, sondern in den Keller verbannt wurden. Dort erhielten sie, zusammen mit schon den länger unbenutzten historischen Wälzern, „Gnadenasyl“ – immerhin in einem schön furnierten Holzregal, das wir aus dem Odenwälder Elternhaus meiner Frau mitbekommen hatten. Aber anders als bei der Pensionierung geplant, habe ich sie seitdem nicht mehr hervorgeholt. Selbst als ich mich 2015/16 durch die aktuelle Entwicklung noch einmal zu dem Thema gedrängt fühlte, habe ich den Aufsatz zur „unterschätzten Asylkrise“ ohne den Rückgriff auf die alten Bücher schreiben können; zu offensichtlich lag zu Tage, was vor sich ging, es bedurfte keiner „Recherche“.

Zwischendurch hatte ich meinem ehemaligen Chemnitzer Assistenten die Asylsammlung noch einmal angeboten, aber der hatte nu