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Der 52-jährige G wird am 3.1.2022 bei einem von B verschuldeten Verkehrsunfall getötet. G hatte ein hohes Einkommen, aber kein Vermögen. Die Tochter T des G bringt am 28.12.2022 das Kind K zur Welt. T und ihr Ehemann sind einkommens- und vermögenslos.
1.
Kann K von B Unterhalt verlangen?
2.
Welche Ansprüche hätte K, wenn er schwer missgebildet geboren worden wäre und die Missbildung darauf zurückginge, dass der Arzt A die T einer Röntgentherapie unterzogen hat, die angesichts der ihm bekannten Schwangerschaft unbedingt hätte unterbleiben müssen?
(Lösungsskizze:Rn 16)
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Zum Unterhalt des K sind in erster Linie seine Eltern verpflichtet, § 1601.[1] Aber sie haben nichts; folglich brauchen sie auch nicht zu zahlen, § 1603. Lebte der Großvater G noch, dann müsste er K unterhalten, §§ 1601, 1606 II, 1607 I.
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1. K könnte gegen B einen Anspruch aus unerlaubter Handlung haben. Aber B hat nicht in die Rechte des K eingegriffen, die § 823 I als absolut geschützte Rechtsgüter aufzählt. B hat den G verletzt, folglich ist G „der andere“, dem B aus § 823 verpflichtet ist. (Es heißt nicht: „Wer einen anderen verletzt, ist jedem anderen zum Ersatz verpflichtet“.) Dem K ist aber durch den von B verschuldeten Tod des G der Unterhaltsanspruch verlorengegangen. In solchen Fällen hilft § 844 II. Hier ist die Tötung eines Unterhaltspflichtigen der Tatbestand, der dem Unterhaltsberechtigten einen Schadensersatzanspruch gibt; sein Schaden ist der Verlust des Unterhaltsanspruchs.
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2. Der Anspruch aus § 844 II setzt aber voraus, dass der Unterhaltsberechtigte als Zuordnungssubjekt des Unterhaltsanspruchs und des Schadensersatzanspruchs im Augenblick der Schadenszufügung existierte.
Die Eigenschaft einer Person, Zuordnungssubjekt sein zu können, nennt man Rechtsfähigkeit. Rechtsfähig ist, wer Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Ob jemand tatsächlich Rechte hat, spielt keine Rolle, genauso wenig ob er durch eigene Handlungen Rechte und Pflichten erwerben kann. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit (s. unten Rn 52 f) sind streng zu trennen. Rechte und Pflichten können auch ein noch nicht handlungsfähiges Neugeborenes treffen: Es hat Unterhaltsansprüche; es kann einen Unfall erleiden, aus dem ihm Schadensersatzansprüche erwachsen; es kann Erbe werden, den Nachlassverbindlichkeiten treffen, §§ 1922, 1967.
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Die Rechtsfähigkeit ist einer der wichtigsten Grundbegriffe des Rechts, und zwar nicht nur des Privatrechts: Nur Rechtsfähige können am Rechtsleben teilnehmen. Wenn sie selbst nicht handlungsfähig sind, handelt