Mein Name ist Ungeheuer
Julia Dankers
Heute, Rosenmontag 2020
Aus den Lautsprechern an der Decke dröhnt irgendein Evergreen aus den Neunzigern, die schon lange vorbei sind, auch wenn sich das niemand über vierzig eingestehen möchte. Hastig trinke ich einen Schluck aus dem Flachmann, bevor ich ihn zurück in meine hintere Hosentasche stopfe.
Drei pubertäre Mädchen in hautengen, pinkfarbenen Tops streiten sich um eine Vanillemilch, die einfach super zum billigsten Wodka der Hausmarke passen würde, wenn man der Rädelsführerin Glauben schenkte. Ihr leichter Silberblick fasziniert mich. Rot wie die eines Vampirs schimmern ihre Pupillen. Ich schätze, sie trägt diese fürchterlichen farbigen Kontaktlinsen, um hip zu wirken, ein bisschen cool, ein wenig unnahbar - und ziemlich doof.
Vermutlich sehe ich ähnlich derangiert aus, wenn auch fetter und faltiger, weil ich die letzten drei Nächte kaum geschlafen habe und aus ihrer Sicht mindestens uralt bin. Vierzig sei das neue dreißig, behaupten Medienexperten. Ich hingegen fühle mich untot, was streng genommen das Gegenteil von lebendig ist.
Am Milchregal halte ich einen Moment inne. Die Luft zwischen den sorgfältig drapierten Tetrapaks ist zum Zerschneiden dick. Gedankenverloren schnappe ich eines mit grünem Aufdruck, weil dies die Farbe der Hoffnung ist – und die stirbt fast immer zuletzt. Dumpf landet es im Einkaufswagen.
Über der Fleischtheke hängt der Duft des Todes und ein wenig auch der vom Altdamenparfüm. Grauhaarige Gestalten mit schleppenden Schritten erinnern mich an Zombies. Rollatoren säumen den schmalen Gang zwischen Leben und Tod.
Die Fleischereifachverkäuferin trägt neckische Grübchen und eine rotgesprenkelte Gummischürze. In ihren Mundwinkeln klebt roter Fleischsaft, als habe sie gerade hinter dem Tresen vom rohen Steak gekostet. Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück, als sie mich anspricht, das Ausbeinmesser nonchalant aus dem Handgelenk schwingend.
Dreißig Jahre lang bin ich Vegetarier gewesen, weniger aus Überzeugung als aus Schuldgefühl. Keine weitere Kreatur hat meinetwegen sterben sollen. Das Rattern der Wurstschneidemaschine zaubert eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Ich trage lediglich ein Unterhemd und sehe in der Spiegelung der Tresenscheibe aus wie ein gerupfter Hahn.
Drei Kilo Hackfleisch sollen es sein. Die robuste Dame nickt. Auf ihrem Oberarm beißen sich Schmetterlingstattoos gegenseitig in den Hintern und um ihren Kopf herum surren Fliegen. Zur Untermalung würde schräge Geigenmusik gut passen, anders als die Hits aus einem längst vergangenen Jahrzehnt, an das ich mich kaum erinnern kann. Wissend grinst die Blutwurst mich aus der Auslage an. Die mit Gesicht tut es nicht. Eher hochnäsig und etwas überlegen wie der Clown aus »Es« mustert sie mich, als wüsste sie, was ich getan habe.
»Glotz nicht!«, motze ich ungehalten. Die Fleischereifachverkäuferin weicht einen Schritt zurück. Zu Boden geht scheppernd das Messer, nach dem sie sich bückt. Ihr Dekolleté wirkt so einladend wie eine Gesamtschulabschlussfeier, eher ausladend also.
»Sechs Pfund Hack sind eine ganze Menge«, stellt die rundliche Lady leise fest. Ihr Lächeln ist nicht echt, ebenso wie das auf der Max- und Moritzwurst am Rand der Auslage. Sie erinnert mich an Witwe Bolte, die keiner wollte. Ein Kopftuch würde auch der Verkäuferin gut stehen. Dann würden nicht s