: Christina Viragh
: Montag bis Mittwoch Roman
: Dörlemann eBook
: 9783038209058
: 1
: CHF 17.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 440
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zwei, die in den achtziger Jahren jung sind, stehen auf einer Lichtung in den Bergen von Tolfa nördlich von Rom. Horst hofft, hier im Herzen des Etruskerlands Artefakte auszugraben und sich mit dem Erlös die Freiheit zu erkaufen. Marius hat eine glänzende akademische Karriere vor sich und macht hier nur aus Lust am Spiel mit. Der Dritte im Bund, Alfred, ist an diesem heißen Augustmontag nur in einem Traum präsent, der aber für alle drei sehr reale Konsequenzen haben wird. So wie überhaupt jener Tag für sie und eine Reihe weiterer Protagonisten. Am Ende schließt sich der Kreis, auf dem sich die Geschichte durch die Monate eines Jahrs bewegt, an einem Mittwoch auf überraschende Art.MONTAG BIS MITTWOCH führt an verschiedene Schauplätze, Rom, Zürich, eine kleine Stadt in Oberfranken, wobei Christina Viragh die Fäden menschlicher Beziehungen und Schicksale über Zeiten und Distanzen hinweg zu einem lebendigen Teppich verknüpft.

Christina Viragh, geboren 1953 in Budapest, kam mit sieben Jahren nach Luzern. Studium der Philosophie und Literatur. Seit den 1980er Jahren ist sie als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig. Zahlreiche Publikationen, zuletzt erschienen die Romane Pilatus und Im April. Christina Viragh übersetzte u. a. Marcel Proust, Imre Kertész, Sándor Márai und Péter Nádas. Für ihre Übersetzung von Nádas' Parallelgeschichten erhielt sie 2012 den Preis der Buchmesse Leipzig. Sie ist korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und lebt in Rom.

 


Montag im August, alle noch am Leben, die beiden zum Beispiel, die jetzt in der größten Hitze nördlich von Rom in den Bergen von Tolfa, eigentlich Vulkanhügel, sechshundert Meter über Meer, nach einer etruskischen Totenstadt graben. Selbstverständlich ohne Genehmigung, wer käme schon an dieser entlegenen Waldlichtung vorbei. Sie sieht ja auch nicht nach Totenstadt aus, keine von Vegetation überwachsenen Höcker, die auf etruskische Tumulusgräber deuten, wie es in Etrurien, Toskana, Umbrien, Latium, viele gibt, ausgegrabene und nicht ausgegrabene. Die Lichtung ist mehr oder weniger viereckig, ihre Längsachse genau nach Norden ausgerichtet. In ihrem südöstlichen Teil eine alte Eiche. Am Boden trockenes gelbes Gras, vertrocknete Disteln. Ringsum Mischwald, Buche, Eiche, Hagebuche, immergrüne Steineiche, Erdbeerbaum. Im Wald dichter Schatten, da und dort ein Sonnenfleck. Zikadensägen.

Jetzt um den Mittag an diesem Montag Anfang der achtziger Jahre sitzen die beiden im Schatten am Waldrand, so verrückt sind nicht einmal sie, um diese Zeit in der Erde zu stochern. Sie essen ihre panini, pomodoro e mozzarella, bresaola e rucola. Vor ihnen sitzt ein mittelgroßer gelber Hund, fixiert sie. Einer der beiden reißt ein Stück von seinem panino ab und wirft es ihm hin. Einer der beiden, vierundzwanzig, groß gewachsen, dünn und trotz der Hitze in langer Hose und mit geschlossenen Schuhen, vielleicht aufgrund korrekter Überlegungen betreffend Sonneneinstrahlung, Dornengestrüpp und Vipern. Er ist Schweizer. Der andere, zweiundzwanzig, trägt abgeschnittene ausgefranste Jeans und sonst nichts außer Turnschuhen. Dementsprechend Kratzer an seinem Oberkörper und seinen Waden. Es führt ja kein Weg durchs Gestrüpp, das Hemd des Schweizers hat die Art Riss, die man in der Schweiz Dreiangel nennt. Sogar der Hund hat einen blutigen Kratzer an einem der aufgerichteten, an der Spitze geknickten Ohren. Er ist eine Promenadenmischung, einem Dingo nicht unähnlich, mittelgroß, gelbes Fell, lang gezogene Schnauze, so ein Hund von der Sorte Vorstadt-Anubis, sagt der korrekt gekleidete junge Mann. Im Übrigen heißt der Hund Vel. Etruskischer Name, hat der Halbnackte, ein Deutscher, gesagt, er hat dem Hund den Namen gegeben. Er selbst lässt sich Oreste nennen, eigentlich heißt er Horst, aber das spricht dir kein Italiener aus. Der Schweizer heißt Marius. Ja, sein Vater ist Lateinprofessor. Marius. Nenn ihn ja nicht Mario, das verträgt er nicht, solche Anbiederungen, genauer gesagt, die Unterstellung, dass er sich mit der Italianisierung seines Namens anbiedern wollen würde. Er spricht besser Italienisch als Horst-Oreste, der ihn in der via dei Capocci, Rom, mit deutschem Akzent auf Englisch ansprach und ihm dann auf Deutsch für fünfzigtausend Lire zehn Gramm Marihuana andrehen wollte. Marius kifft nicht. Was ihn nicht gehindert hätte, das Zeug zu kaufen, hätte er so viel Geld dabeigehabt.

Also, am Waldrand im Schatten, ein Uhr jetzt, Montag im August und alle noch am Leben. Sie essen die letzten Bissen ihrer panini, pomodoro e mozzarella, bresaola e rucola, der Hund Anubis Vel sitzt neben Horst. Horst Oreste zu nennen, weigert sich Marius. Obwohl Oreste doch, hat Horst gesagt, ein römischer Kaiser war. Klar, hat Marius gesagt, und hat er nicht auch Rom angezündet. Nero, hat Horst gesagt, das war Nero, glaube ich.

Sie sitzen im Schatten am Waldrand, Marius sagt, die Zikaden sollte man abstellen können. Das Gesäge ist ohrenspaltend, und man hat das Gefühl, es erzeuge die Hitze. Die Frage, wie die Zikaden das vom Morgen bis zum Sonnenuntergang durchhalten, strengt einen Teil des Denkens dauernd an. Horst sagt, hast recht, die sollte man abstellen können. Er drückt eine Handfläche und die Faust mit dem panino gegen die Ohren, nimmt sie weg, drückt sie wieder an, wodurch das Gesäge noch verrückter pulsiert. Ein Stück mozzarella fällt aus dem panino.