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Meg verstand es zunächst nicht.
Der Mann lächelte, doch sein freundlicher Gesichtsausdruck und sein Tonfall passten nicht zu seinen Worten. »Wir haben Ihre Tochter als Geisel genommen.«
Sie befand sich in der Tiefgarage unter ihrer Wohnung und hievte gerade einen Karton mit Aktenordnern aus dem Kofferraum ihres Wagens, als er auf sie zukam. Keine dreißig Meter entfernt von ihr saß Ramon, der Wachmann vom Gebäudesicherheitsdienst.
Der lächelnde Mann musste ihr die Verwirrung von den Augen abgelesen haben, denn er wiederholte das Gesagte noch einmal, in einem kazbekistanischen Dialekt. »Wir haben Ihre Tochter. Wenn Sie unsere Anweisungen nicht befolgen, töten wir sie.«
Und dieses Mal verstand Meg.Amy … Sie ließ den Karton fallen.
»Ist bei Ihnen alles okay, Miss Moore?« Ramon hatte sich von seinem Hocker erhoben und kam auf sie zu gelaufen. In einer anderen Tiefgarage in dieser Gegend von Washington D. C. war vor Kurzem eine Frau vergewaltigt worden.
»Antworten Sie ihm mit Ja«, raunte der lächelnde Mann ihr zu, wobei er seine Baseballjacke öffnete und ihr einen kurzen Blick auf eine sehr tödlich aussehende Waffe gewährte.
Großer Gott! »Wo ist sie?«
»Wenn ich innerhalb der nächsten Stunde nicht bei meinen Partnern anrufe, ist sie tot«, teilte er ihr mit und bückte sich, um den Karton aufzuheben. »Meine Partner sind kazbekistanische Extremisten.«
Terroristen … Aber nicht irgendwelche. Die Extremisten waren religiöse Fanatiker, die im Namen ihres Gottes schreckliche Gewalttaten und Grausamkeiten begingen. Und sie hatten Amy.
Oh Gott!
»Alles bestens«, rief Meg dem Wachmann mit nur leicht zittriger Stimme zu.
»Wir sind alte Freunde vom College.« Der Mann wandte sich mit seinem freundlichen Lächeln an Ramon. »Ich hab Meggie gleich wiedererkannt. Allerdings lag es nicht in meiner Absicht, vor ihr aufzutauchen wie der Geist der vergangenen Weihnacht und sie fast zu Tode zu erschrecken.«
Ramons Hand ruhte auf der Waffe, die in dem Holster an seiner Hüfte steckte. Er lächelte freundlich, doch er sah Meg mit seinen dunkelbraunen Augen prüfend an. »Miss Moore?«
Hilfe …
Damals, als sie noch in der amerikanischen Botschaft in Kazbekistan gearbeitet hatte, war sie auf eine solche Situation vorbereitet gewesen. Von Amerikanern, die dort ihren Dienst versahen, wurde das osteuropäische Land auch »K-stan« oder schlicht »die Grube« genannt. Während dieser Zeit war sie regelmäßig daran erinnert worden, dass die Vereinigten Staaten nicht mit Terroristen verhandelten. Am besten vermied man es also, überhaupt erst in eine solche Lage zu geraten – sollte vorsichtig sein, in Sicherheit bleiben, sich von gefährlichen Personen fernhalten und riskanten Situationen aus dem Weg gehen.
Dazu war es nun aber ein wenig zu spät. Wer hätte allerdings auch gedacht, dass nach so vielen Jahren ein k-stanischer Terrorist in Washington D. C. auftauchen würde?
Meg wusste, wie sie sich in dieser Situation verhaltensollte. Es wäre richtig, Ramon um Hilfe zu bitten, solange der Extremist den Karton mit ihren Akten in den Händen hielt und nicht so einfach an seine Waffe kam. Und wahrscheinlich würde eine starke Amerikanerin sich weigern, mit Terroristen zu verhandeln. Sie sollte sich wohl an das FBI wenden.
Doch egal, wie gut die Bundesbehörde auch war, sie würden ihre zehnjährige Tochter niemals innerhalb der nächsten sechzig Minuten finden.
Und nach Ablauf dieser Frist wäre Amy tot.
Meg zwang sich zu einem Lächeln. Zum Teufel