Zu der umgreifenden Verunsicherung, die die Corona-Pandemie in der Gesellschaft auslöste, kam schon bald eine massive politische Irritation hinzu. Von Stuttgart aus traten seit dem Frühjahr 2020 Gegner der staatlichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz in Erscheinung, die sichQuerdenker nennen und seitdem bundesweit Protestaktionen organisieren. Der anfangs sträflich unterschätzten Bewegung gelang es nach nur wenigen Wochen eine Mobilisierung zustande zu bringen, wie man sie sich in der Bundesrepublik unter den Rahmenbedingungen der Covid19-Krise nicht hatte vorstellen können.
Das öffentliche Echo war von Anfang an tief gespalten. Während Kritiker, darunter auch Linke und Liberale, die Demonstrationen zumeist unter Berufung auf verschiedene Grundrechte mit dem Argument zu verteidigen suchten, dass es in Zeiten eines Ausnahmezustandes möglich sein müsse, die von der Bundesregierung verhängten Anordnungen in Frage zu stellen, reagierten konservative, liberale und zum Teil auch sozialdemokratische Kritiker abwehrend und meinten, dass mit derartigen Protesten die Solidarität in der Bevölkerung untergraben und durch den mangelnden Infektionsschutz zudem deren Gesundheit unnötig gefährdet werde.1
Bemerkenswerterweise erreichte die Beteiligung an den Anti-Corona-Protesten genau in jenen Wochen ihren Höhepunkt, als die Inzidenzzahlen noch am niedrigsten waren und sich nicht wenige in der Illusion bewegten, dass die Pandemie bereits im Verschwinden begriffen sein könnte. Am 1. und am 29. August 2020 versammelten sich jeweils Hunderttausende in Berlin.2 Die zweite Manifestation konnte nur stattfinden, weil das zuständige Verwaltungsgericht ein vom Berliner Innensenator verhängtes Demonstrationsverbot aufgehoben hatte und diese Entscheidung vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in zweiter Instanz bestätigt worden war. Der SPD-Politiker Andreas Geisel hatte den Veranstaltern zum Vorwurf gemacht, dass sie bei ihrer ersten Großdemonstration die mit der Polizei zuvor vereinbarten Abstands- und Mund-Nasen-Schutzregelungen bewusst gebrochen hätten. Den aus Stuttgart stammenden OrganisatorenInitiative Querdenken 711 ginge es gar nicht um die Ablehnung der Corona-Maßnahmen. In Wirklichkeit richteten sich ihre Protestaktionen gegen die Verfassung; „unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit“ versuchten sie, das demokratische System „verächtlich zu machen“. Und nur zu bald stellte sich heraus, dass Geisel mit seiner Prognose wohl nicht so ganz verkehrt gelegen hatte.
Denn bei einer Protestversammlung vor der Unter den Linden gelegenen Botschaft der Russischen Föderation, in deren Verlauf es wegen militanter Übergriffe auf die Polizei zu 200 Festnahmen gekommen war, erklärte der Gründer derQuerdenken 711-Gruppierung Michael Ballweg, dass das Grundgesetz ausgehöhlt sei. Nicht der Bundestag, sondern der Souverän müsse die Macht übernehmen. Man wolle deshalb „an einer