: Michael Connelly
: Das Gesetz der Straße Ein Fall für den Lincoln Lawyer
: Kampa Verlag
: 9783311703945
: Ein Fall für den Lincoln Lawyer
: 1
: CHF 13.50
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Seine Fälle löst er von der Rückbank seines Wagens, was ihm den Spitznamen »Lincoln Lawyer« eingebracht hat. Wer ihn chauffiert? Mandanten, die sich die Anwaltskosten nicht leisten können. Jetzt steht Michael Haller vor dem spektakulärsten Fall seiner Karriere: Nach dem kaltblütigen Mord an seinem Kollegen Jerry Vincent wird Haller dessen hochkarätiger Klientenstamm übertragen. Der Verdacht liegt nahe, dass der Mörder unter Vincents Mandanten zu finden ist. Ist auch Haller in Gefahr? Der hat keine Zeit, sich Sorgen zu machen. Vincents letzter Fall fordert seine Aufmerksamkeit: Der Hollywood-Mogul Walter Elliot ist des Mordes an seiner Ehefrau und deren Geliebten angeklagt. Je näher Haller der Wahrheit kommt, desto größer wird die Gefahr. Und dann verschwindet er ...

Michael Connelly ist mit über 89 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen einer der US-amerikanischen Krimi-Superstars. 1956 geboren, wuchs er in Florida auf, wo er als Journalist arbeitete, bis ihn die Los Angeles Times als Gerichtsreporter in die Stadt holte, in der sein literarisches Idol Raymond Chandler seine Romane spielen ließ, was Connelly ihm später gleichtun sollte. Im Kampa Verlag erscheinen neben den Fällen des legendären Ermittlers Harry Bosch und der Nachtschicht-Detective Rene?e Ballard auch Connellys Romane mit Jack McEvoy und Michael »Mickey« Haller. Connelly lebt in Kalifornien und in Florida.

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Als Vorsitzende Richterin des Los Angeles Superior Court versah Mary Townes Holder den größten Teil ihrer Arbeit hinter verschlossenen Türen. In ihrem Gerichtssaal wurde zwar gelegentlich über dringende Verfahrensanträge entschieden, aber Prozesse fanden darin nur selten statt. Ihre eigentliche Tätigkeit erledigte sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Im Richterzimmer. Von dort aus verwaltete sie die gesamte Gerichtsbarkeit von Los Angeles County. Ihrer Aufsicht unterlagen über zweihundertfünfzig Richterämter und vierzig Gerichte. Jede Vorladung eines Geschworenen, die mit der Post rausging, trug ihre Unterschrift, und jede Stellplatzzuteilung in einem Gerichtsparkhaus war von ihr abgesegnet. Sie teilte Richtern ihre Posten nach geographischen und fachlichen Kriterien zu. Wenn ein Richter neu in sein Amt gewählt wurde, war es Holder, die entschied, ob er nach Beverly Hills oder Compton kam und ob er in einem Zivilgericht Finanzprozesse mit immensem Streitwert leitete oder in einem Familiengericht herzergreifende Scheidungsfälle.

Ich schlüpfte rasch in meinen glückbringenden Anzug. Es war ein Italienimport von Corneliani, den ich früher immer am Tag der Urteilsverkündung getragen hatte. Weil ich ein Jahr lang keinen Gerichtssaal mehr betreten und noch länger kein Urteil mehr gehört hatte, musste ich ihn aus einer Plastikhülle nehmen, die ganz hinten im Schrank hing. Danach fuhr ich unverzüglich in die Stadt, mit der dumpfen Befürchtung, dass gleich über mich selbst eine Art Urteil gesprochen würde. Unterwegs ging ich fieberhaft die Fälle und Mandanten durch, mit denen ich ein Jahr zuvor zu tun gehabt hatte. Soweit ich mich erinnern konnte, war nichts offen oder unerledigt geblieben. Aber vielleicht hatte jemand eine Beschwerde eingereicht, oder die Richterin hatte irgendwelchen Tratsch am Gericht aufgeschnappt und daraufhin Nachforschungen angestellt. Jedenfalls betrat ich Holders Gerichtssaal mit einem flauen Gefühl im Magen. Eine Vorladung von einem Richter verhieß normalerweise nichts Gutes. Und eine Vorladung von einer Vorsitzenden Richterin schon gar nicht.

Der Saal war dunkel, und der Platz der Protokollführerin neben der Richterbank leer. Ich trat durch die Schranke und wollte gerade die Tür öffnen, die auf den Flur zum Richterzimmer führte, als diese von innen aufflog und Michaela Gill erschien. Die Protokollführerin war eine erfreulich anzusehende Frau, die mich ein wenig an meine Grundschullehrerin erinnerte. Sie hatte gerade den Saal betreten wollen, ohne damit zu rechnen, dass sich gleichzeitig jemand von der anderen Seite der Tür näherte. Sie erschrak heftig und hätte beinahe einen Schrei ausgestoßen. Ich nannte ihr rasch meinen Namen, bevor sie zum Alarmknopf an der Richterbank stürzen konnte. Sie atmete tief durch und ließ mich dann unverzüglich eintreten.

Ich marschierte den Flur hinunter und traf die Richterin allein in ihrem Zimmer an, wo sie an einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Holz arbeitete. Ihre schwarze Robe hing in der Ecke an einem Kleiderständer. Sie trug ein konservativ geschnittenes weinrotes Kostüm. Sie war gepflegt und attraktiv, Mitte fünfzig, mit einer zierlichen Figur und braunem Haar, das sie kurz und streng geschnitten trug.

Ich war Richterin Holder noch nie persönlich begegnet, hatte aber schon einiges über sie gehört. Sie hatte zwanzig Jahre als Anklägerin gearbeitet, bevor sie von einem konservativen Gouverneur auf die Richterbank berufen worden war. Sie hatte Strafrechtsprozesse geleitet, auch ein paar richtig große, und war dafür bekannt, das höchstmögliche Strafmaß zu verhängen. Dementsprechend war sie nach ihrer ersten Amtszeit problemlos für eine zweite