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Mit dem Bus nach Tampere
und eine seltsame Begegnung
oder:
Wer klappert so spät durch Nacht und Wind
Es sind Busse, die nicht ganz TÜV-geprüft sind
Sie rasen hier, sie klappern dort
kaum sind sie da, schon sind sie fort
Manche Begegnungen sind seltsam. Zufällig kommt man mit einem wildfremden Menschen ins Gespräch, im Supermarkt, an der Tankstelle oder im Freibad, und wenig später steht man wie verloren in der Erinnerung und fragt sich, ob diese Begegnung, dieses Gespräch nicht doch nur ein Traum war. Oder eine Einbildung... Wie ein Selbstgespräch… Diese Stimmen in mir. Diese zwei anderen Typen. Es kommt vor, dass ihre Dialoge so präsent sind, dass ich Tage später überlege, mit wem ich dieses oder jenes Thema unlängst diskutierte, und stelle fest, dass es in mir war, das Gespräch, das Spiel der Argumente, dass ich es selbst war, der Pros und Kontras abwog, der in derber politischer Auseinandersetzung oder im philosophischen Diskurs mit den Stimmen stand. (Oft entstehen hieraus meine Texte.)
Als ich an diesem Nachmittag in Haihara auf den Bus wartete, stand an der Haltestelle ein älterer, stilvoll gekleideter Mann. Diese Haltestelle war eher unscheinbar, und wenn mir Claudia nicht gesagt hätte, dass von hier aus die Linie 10 ins Zentrum fahren würde, wäre ich beim ersten Mal sicherlich bis zur nächsten gelaufen, die auch nur knapp 400 Meter weit entfernt lag. Erkennbar war da zunächst nur ein gelbes Straßenschild, das an einem verzinkten Rohr befestigt war, auf dem schwarze Linien die dahinter liegende Wendeschleife signalisierten. Darunter war ein in einen metallenen Rahmen gefasstes, weiteres Schild befestigt, auf dessen gelber Grundfläche ein schwarz stilisierter Bus zu sehen war, darunter wiederum der Name der Haltestelle „KaukajärviNRO 4078“, das allerdings ebenso mit dicken Tags beschmiert war, wie die kleine Tafel mit den Abfahrtszeiten, nicht größer als ein A4 Blatt, eine weitere Stufe tiefer. Das war schon kaum mehr zu sehen, weil es beinahe vollständig von einem Schneehügel umschlossen war. Überall waren diese vom Winterdienst aufgetürmten Schneehügel, mal hüfthoch, mal mannshoch, mal erreichten sie fast die Größe zweier übereinander gestapelter Kleinbusse. Die verzinkte Metallstange ragte schief in die Landschaft, als sei sie vom Tragen ihrer Schilderlast längst müde geworden.
Die Haltestelle wirkte verwaist. Vielleicht wurden die Endhaltestellen hier ja weniger gepflegt? Final Destination. Mir kamen die gleichnamigen Filme in den Sinn. Ab hier ist Schluss. Was hier endet, endet eben. Nicht schön, selten spektakulär, aber konsequent. Endstation, wir bitten alle noch Lebenden, das Atmen nun einzustellen.
Das war natürlich Blödsinn im ewigen Kreislauf der Buslinien. Denn was hier endete, begann auch wieder. End- und Startpunkt, das Alpha und das Omega, die umgefallene Acht, es schien, als sei sie hier überall präsent, was wohl daran lag, dass mich das Thema Anfang und Ende seit der Nachricht von Peters Tod beschäftigte. Wenn dich ein Thema beschäftigt, dann fallen dir plötzlich seine Bezüge überall auf. Wenn du unglücklich verliebt bist, laufen plötzlich nur Liebeslieder im Radio und überall begegnen dir eng umschlungene Paare, die alle paar Meter stehen bleiben und sich küssen. In solchen Momenten machte ich aus Georg Kreislers Tauben gern Paare:Der Frühling, der dringt bis ins innerste Mark / Beim>Paare< vergiften im Park
Geistige Fokussierung. Du siehst, was du sehen willst, worauf dein Unterbewusstsein achtet. Vielleicht beschäftigte mich das Thema auch, weil mein Aufenthalt hier in Finnland begrenzt war. Vielleicht, weil ich meine Freundin vermisste. Vielleicht aber auch, weil ich hier in der Anonymität war, weil ich keinen Menschen hier kannte, weil mich kein Mensch hier kannte, weil ich durch die fremde Sprache und Kultur ein Stück weit isoliert war, näher zu mir rückte. Ich war nicht in mich gekehrt, ich war um mich herum und beobachtete mich von allen Seiten und kehrte das Innennach außen. Lange hatte ich nicht mehr so intensiv mit mir selbst zu tun, weil ich zu jener Gattung Mensch gehöre, die sich von sich ablenkt. Nicht aus Angst vor mir selbst. Nicht, weil ich mit mir nicht klarkam. Eher, weil die Beschäftigung mit dem Ich über die ganz normale Selbstreflektion hinaus Stille braucht. Mich konnte ich gut ertragen, aber Stille zu ertragen, das fiel mir immer schon schwer.
Ich hatte noch knapp zehn Minuten, bis der Bus kam, drehte mir eine Zigarette und dachte darüber nach, wie lange ich wohl solch einen Job machen würde. Busfahrer… Immer wieder die gleiche Strecke fahren. Stunde um Stunde, Tag für Ta