: Ludwig Marcuse
: Philosophie des Un-Glücks Pessimismus. Ein Stadium der Reife
: Diogenes
: 9783257612899
: 2
: CHF 10.00
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Sein Werk, das immer provocative war in des Wortes bester englischer Bedeutung, ist jüngst auf einen vorläufigen Höhepunkt gelangt durch seine große Schrift Philosophie des Un-Glücks, ein prachtvoll gescheites Buch, das, ohne irgendwelche falsche Tröstungen anzubieten, rein durch seine geistige Energie etwas Ermutigendes hat ... Die ganze Auffassung des Pessimismus als eines Zustandes der Reife ist mir sehr sympathisch. Im übrigen ist es ein fortwährend fesselndes, im höchsten Sinn witziges Buch.«

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.

Parallel zum Vulgärmarxismus und Vulgärrationalismus (dem sogenannten Aufkläricht) gibt es ein Vulgärchristentum, das niemand so unvergeßlich ins Licht gestellt hat wie Kierkegaard. In vielen Bezirken geht also die Richtung auf eine Verdünnung des Mythos: man nahm einige unhaltbare Positionen zurück; das Subtilere soll noch leisten, was einst dem Kompakteren aufgetragen war. Selbst die Freimaurer suchen sich zu entmythologisieren; sie geben ihre Riten der Fernsehkamera preis. Wo bleibt der Zauber, wenn immer mehr Geheimnisvolles eliminiert wird? Der Zauber war stets das Antidot gegen den Pessimismus.

Ihn zu besiegen war die Hauptfunktion der vielfältigen Götter, auch noch der abstraktesten. Selbst die Religion des Kreuzes war auch eine Austreibung der Tristitia. Alle, die in der Passion einen Hymnus auf das Tal der Tränen sahen, mißverstanden das Christentum: am stärksten Heine, Richard Wagner und Nietzsche. Das Kreuz schwächte, um zu stärken; es war die Last, unter der man zusammenbrach, um das Heil klarer zu erblicken. Melancholia gehörte bisweilen zu den Sieben Todsünden. Erwachsen im Schatten des Leidenswegs, zeichnete man dennoch exzessive Trauer, Verzweiflung als sündhaft aus; Schmerz und Leid, Vorbereitung fürs Paradies, durften nicht abgewertet werden. Und heute verdammt Evelyn Waugh, unter Berufung auf Thomas von Aquin: Traurigkeit »im Angesicht des geistlich Guten«. Das Christentum konnte einer der stärksten Widerstände gegen jeden Pessimismus werden – gerade weil es so viel von ihm aufgenommen hatte.

Heute sucht man mit Hilfe von geeigneten Bibelzitaten Vertrauen zu wecken: »Selig die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden.« Besonders gut eignet sich das Alte Testamentf »Und Gott sah, daß alles gut war.« Was ist das Echo im Herzen der Leser? In den »blassen und ermüdeten Religionen«, in den »Gelehrtenreligionen« erkannte Nietzsche klar, was wir heute trübe als Entmythologisierung feiern. Sie wurde von Biologie und Archäologie erzwungen, vor allem von den Geschichtswissenschaften; und außerdem noch von den antiautoritären Tendenzen innerhalb der Demokratien. Die Kirchen sollen demokratisiert werden – und mit ihnen Jehova, der Zürnende, und Christus Pantokrator; vom Pietismus bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil mühte man sich, hoffnungslos. Alle Zuschauer, welche diese »Liberalisierungen« bejubeln, machen sich nicht klar, daß ein demokratisch gehandhabter Mythos (vom päpstlichen bis zum marxschen) nichts leisten kann. Wer außerhalb steht, ist eher geneigt, Verständnis zu haben für die Retardierenden, welche wissen, daß Entmythologisierung in eine unbekleidete Welt führt.

Im Neoprotestantismus ist