KAPITEL 1
Die Bäume waren voll Krähen und die Wälder voller Verrückter, die Grube war voll Knochen, und in den Händen hielt sie Draht.
Dort, wo die Drahtenden sie geschnitten hatten, bluteten ihre Finger. Der Blutstrom der ersten Wunden war versiegt. Die Ränder waren rot und heiß geworden, und auf ihrer Haut breiteten sich giftig aussehende Streifen aus. Ihre Fingerspitzen waren angeschwollen und weniger flink.
Ja, Marra war sich bewusst, dass das alles nicht ideal war. Doch lange genug zu leben, um an einer Infektion zu sterben, war sowieso zu unwahrscheinlich, als dass sie sich darüber jetzt Sorgen machen müsste.
Sie nahm einen langen, dünnen Beinknochen und umwickelte seine Enden mit Draht. Er passte zu einem anderen Knochen – zwar nicht vom selben Tier, aber ähnlich genug. Sie band beide zusammen und fügte sie in das Gestell ein, das sie gerade schuf.
Die Leichengrube war randvoll, doch Marra brauchte nicht allzu tief zu graben. Die einzelnen Schichten erzählten von unterschiedlichen Phasen des Hungers. Zuerst hatten sie Hirsche gegessen und Rinder. Als das Vieh ausging und es auch keine Rehe mehr gab, aßen sie die Pferde, und als die Pferde aus waren, aßen sie die Hunde.
Als es die nicht mehr gab, aßen sie sich gegenseitig.
Es waren die Hunde, die Marra wollte. Vielleicht hätte sie auch einen Mann aus Knochen bauen können, doch für Männer hatte sie keine große Liebe mehr übrig. Hunde jedoch … Hunde waren immer ehrlich.
»Aus ihren Fingern schafft er Stimmwirbel, schön und klar«, sang sie leise und monoton, fast unhörbar, »und bespannt die Knochen mit ihrem güldenen Haar …«
Die Krähen riefen einander von den Bäumen aus mit erhabenen Stimmen zu. Marra fragte sich, was der Harfner in dem Lied wohl gedacht hatte, während er jene Harfe aus den Knochen einer toten Frau baute. Vermutlich wäre er der einzige Mensch auf der Welt, der verstehen würde, was sie hier gerade tat.
Vorausgesetzt, er hat überhaupt jemals wirklich existiert. Und wenn ja, was für eine Art Leben hatte er wohl geführt, in dem er an einen Punkt kam, eine Harfe aus Leichen bauen zu müssen? Und wenn wir gerade dabei sind: Was sagt es über dein Leben aus, wenn du dir einen Hund aus Knochen bauen musst?
Viele der Knochen waren aufgebrochen worden, um an das Mark in ihnen zu kommen. Wenn sie zwei zusammenpassende Knochenstücke fand, konnte sie diese einfach wieder zu einem Ganzen zusammenfügen, doch oft waren die Enden zersplittert. Dann musste sie die Stücke mit Draht zusammenschienen, wobei sie blutige Fingerabdrücke auf den Knochen hinterließ. Doch das war in Ordnung. Das war Teil der Magie.
Hat sich der große Held Mordechai, als er den giftigen Wurm erschlug, über schmerzende Finger beschwert? Nein, natürlich nicht. Zumindest nicht da, wo ihn jemand hören und