Ungefähr als der Land Rover auf der Mitte des Damms war, muss klar gewesen sein, dass sie es niemals schaffen würden. Das Wasser lief viel zu schnell auf. Die Strecke, die noch vor ihnen lag, war viel zu lang. Was tut man an welchem Punkt? Abgesehen von einer einzigen Haltebucht ist die Straße, die Insel und Festland verbindet, in keinem Abschnitt breiter als für gerade mal anderthalb Fahrzeuge. Selbst an ihrer höchsten Stelle liegt sie selbst bei niedrigstem Niedrigwasser nicht mehr als einen halben Meter über dem sie umgebenden Watt. Keine Möglichkeit zu wenden. Total betrunken, mitten in der Nacht und in einem unbekannten Wagen im Rückwärtsgang zur Insel zurück? Keine Chance.
Hinter einem, auf der Insel, ist die Party noch in vollem Gang, mit Feuerwerk und allem. Ein, zwei Kilometer voraus ist vage das Dorf auszumachen, das rötliche Glühen des Hafens, vereinzelt noch ein erleuchtetes Fenster in einem oberen Stockwerk. Wofür entscheidet man sich also? Der erste Impuls ist, einfach weiterzufahren, Gas zu geben. Auf die vierzig, fünfundvierzig Prozent Wahrscheinlichkeit zu setzen, dass man es schafft auf dieser gewundenen Spur durch nachtschwarze Dunkelheit, im Licht der Scheinwerfer immer nur ein kleines Stück des unvorhersehbar kurvigen Damms, über den weiter vorn schon schwarze Wellen schwappen und die Fahrbahn verengen, ja, sie zum Verschwinden bringen. Man kann hupen und wild aufblenden, aber selbst wenn es einem gelänge, jemanden auf sich aufmerksam zu machen, selbst wenn jemand auf dem Festland einen sehen und hören und sofort die Küstenwache rufen würde, was könnte die Küstenwache in der Kürze der verbleibenden Zeit und bei diesen Entfernungen schon tun?
Und dann ist nicht nur das, was im Moment passiert, ein Horror, sondern vor allem die Tatsache, dass man sich – so betäubt und wirr im Kopf und benebelt man auch ist – ohne Weiteres vorstellen kann, was als Nächstes kommt. Die gnadenlos dämmernde Erkenntnis, dass das Wasser binnen Minuten auf Höhe der Achsen sein wird, auf Höhe der Scheinwerfer. Dass irgendwann, wahrscheinlich eher früher als später, der Motor Wasser aufnehmen und abwürgen wird und der Wagen zum Stehen kommt.
Und die ganze Zeit schreit der Mensch auf dem Beifahrersitz des Land Rover auf einen ein, gibt einem die Schuld an allem, fuchtelt panisch herum und verlangt, dass man etwas unternimmt.
Und man kommt auf die Idee, dass man jemanden anrufen sollte, irgendwen, aber dann fällt einem ein, dass das Handy noch auf der Insel ist, dass sie einem das Handy abgenommen haben, wobei es, selbst wenn sie es einem nicht abgenommen hätten, hier draußen wohl ohnehin keinen Empfang gäbe.
Und man fragt sich, wie lange man in dem kalten Wasser und bei dieser Dunkelheit und bei dieser Entfernung zum Ufer durchhalten würde, wenn man versuchen würde zu schwimmen.
Und irgendwann dämmert einem, dass es, was man auch tut, am Ende auf dasselbe hinauslaufen wird.
Und irgendwann dämmert einem, dass diese Geschichte für die Medien ein gefundenes Fressen sein wird.
Und vielleicht – aber nur vielleicht und nur für einen Augenblick – dämmert einem dann, dass dies nicht mehr und nicht weniger ist als das Ende, das man verdient.
Vanity Fair