Italo Calvino
Das Pfeifen der Amseln
Herr Palomar hat das Glück, den Sommer an einem Ort zu verbringen, wo viele Vögel singen. Während er in einem Liegestuhl ruht und »arbeitet« (denn er hat auch das Glück, behaupten zu können, der Arbeit an Orten und in Haltungen nachzugehen, die man als solche der absolutesten Ruhe bezeichnen würde; oder besser gesagt, er hat das Pech, sich verpflichtet zu fühlen, die Arbeit nie ruhen zu lassen, auch nicht in einem Liegestuhl unter Bäumen an einem Vormittag im August), entfalten die im Gezweig verborgenen Vögel rings um ihn ein Repertoire der verschiedensten Lautbekundungen, hüllen ihn in einen ungleichmäßigen, diskontinuierlichen und zerklüfteten Klangraum, in dem sich jedoch ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Tönen herstellt, da keiner die anderen durch höhere Intensität oder Schwingungszahl überragt und alle zusammen ein homogenes Gezwitscher bilden, das nicht durch Harmonie zusammengehalten wird, sondern durch Leichtigkeit und Transparenz. Bis dann in der heißesten Stunde das wilde Geschwirr der Insekten dem Flirren der Luft seine schrankenlose Vorherrschaft aufzwingt, indem es alle Dimensionen der Zeit und des Raumes mit dem unaufhörlichen, ohrenbetäubenden Preßlufthammergedröhn der Zikaden erfüllt.
Das Zwitschern der Vögel besetzt einen variablen Teil der auditiven Aufmerksamkeit des Herrn Palomar: Bald drängt er es in den Hintergrund als einen Bestandteil der dort herrschenden Stille, bald konzentriert er sich auf die Unterscheidung einzelner Stimmen und gruppiert sie in Kategorien mit wachsender Komplexität: einfaches Piepsen, Tschilpen, kurzes vibrierendes Pfeifen, Tirilieren mit einem kurzen und einem langen Ton, glucksendes Kollern, kaskadenartiges Flöten, langgezogenes in sich kreisendes Quinkelieren und Quirilieren, und so weiter bis zur klangvollen Koloratur.
Zu einer weniger allgemeinen Klassifizierung gelangt Herr Palomar nicht: Er ist keiner von denen, die bei jedem Gezwitscher immer gleich wissen, von welchem Vogel es stammt. Das tut ihm jetzt leid, er empfindet seine Unkenntnis wie eine Schuld. Das neue Wissen, das sich die Menschheit heute erwirbt, entschädigt nicht für das Wissen, das sich allein durch mündliche Weitergabe verbreitet und, wenn es einmal verloren ist, nicht mehr wiedergewonnen und weitergegeben werden kann: Kein Buch kann lehren, was man nur als Kind lernen kann, wenn man ein waches Ohr und ein waches Auge für den Gesang und den Flug der Vögel hat und wenn jemand da ist, der ihnen prompt einen Namen zu geben weiß. Dem Kult der nomenklatorischen und klassifizierenden Präzision hatte Herr Palomar stets die Verfolgung einer ungewissen Präzision im Definieren des Modulierten, Gemischten, sich Wandelnden vorgezogen – also des Undefinierbaren. Jetzt würde er die entgegengesetzte Wahl treffen,