1
Der Anblick des niedergebrannten Elternhauses bereitete Lisbeth sofort Atemnot. Die Erinnerungen kehrten zurück, und keine davon war gut.
Im Licht der morgendlichen Frühlingssonne wirkten die Steine der alten Ruine beinahe idyllisch, als wollte es den Schrecken beschwichtigen, den dieser kleine Hof vor acht Jahren so unbarmherzig ereilt hatte. An die zerstörten, dachlosen Mauern klammerte sich Efeu, und seine Ranken schienen sagen zu wollen, dass sie nichts mehr hergaben, was sie sich einmal genommen hatten. Wie der Tod damals auch.
Lisbeth spürte, wie ihr Herz schneller gegen ihre Brust schlug. Es würde sich wohl nie ändern. Wie oft hatte sie vergeblich gehofft, es würde ihr nichts mehr anhaben können, wenn sie nach dem halbstündigen Fußweg vom Dorf hierherkam? Doch der Anblick der vom Feuer immer noch geschwärzten Mauern traf sie jedes Mal aufs Neue. Auch nach so vielen Jahren konnte sie das brennende Holz der Dachbalken immer noch riechen, die glimmenden Funken um ihr Gesicht fliegen sehen und das Geräusch der zusammenkrachenden Scheune hören, als die Flammen gierig alles gefressen hatten, was sie kriegen konnten. Und von allen Seiten die lauten Stimmen der Männer, deren Sprache sie nicht verstand und die sie an ihren dünnen Armen fortzerrten, damit ihre Haare kein Feuer fingen, weil sie zu nahe herangegangen war an das, was einmal ihr Zuhause gewesen war.
Lisbeth wusste, dass es nicht half, die Vergangenheit zu nah an sich herankommen zu lassen. Wichtiger war die Gegenwart, wenn sie eine Zukunft haben wollte. Doch was nutzte der Verstand, wenn er an der Leine der Gefühle hing?
Sie ging um das verfallene Gemäuer herum. Dort, wo sich hinter einer weitläufigen Lichtung die Wiesen bis hoch zu denRoten Wäldern anschlossen, ragte ein verwittertes Holzkreuz aus dem Gras auf. Die eingekerbte Inschrift war verdreckt und kaum leserlich, aber Lisbeth wusste auch so, dass dort der Name ihres Vaters stand. Er hatte das Leben verlassen müssen, ohne Zeit zum Sterben gehabt zu haben.
Sie ging auf die Knie und hob dabei ihre Schürze ein wenig an, damit sie nicht unter dem Rock eingeklemmt wurde. Dann löste sie die Schlaufen ihrer Haube, hängte sie sich über den linken Arm und atmete tief ein. Es tat gut, die leichte Brise zu spüren. Als würde ein gnädiger Wind ihre lähmenden Gedanken einfach mit sich nehmen.
Auf dem Weg hierher hatte sie Feldblumen gepflückt, die sie nun niederlegte. Leise flüsterte sie ein kurzes Gebet, bevor sie sich gleich wieder erhob.
Es tut mir leid, dachte sie, dann wandte sie sich ruckartig um und stapfte zum Feldweg zurück. Sie hatte noch nie die nötige Ruhe in sich getragen, um länger am Kreuz zu verweilen. Das lag nicht allein daran, dass der Leichnam ihres Vaters hier gar nicht begraben war und das Holzkreuz lediglich die Stelle seines Sterbens markierte, sondern vielmehr, weil ihr einfach keine Worte einfal