: Chihiro Hamano
: Saint Zoo
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751803854
: 1
: CHF 17.00
:
: Biographien, Autobiographien
: Japanese
: 280
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Liebe, Erotik und Sex: Diese Begriffe sind Chihiro Hamano unverständlich geworden. Nachdem sie über zehn Jahre körperliche und seelische Gewalt in der Beziehung mit ihrem Partner erleben musste, hat sie nur noch Verachtung dafür übrig. Um das Erlebte verarbeiten zu können, begibt sie sich auf eine Recherchereise zu den Themen, die von nun an ihr Leben bestimmen: Gewalt, Macht und Sexualität. Ihre Recherche führt sie bald zu einer tabuisierten Spielart der Sexualität: Zoophilie. Die verblüffende Reise, auf die sie ihre Leserinnen und Leser in diesem mitreißend geschriebenen und von rückhaltloser Offenheit geprägten Buch mitnimmt, führt sie von Tokyo nach Berlin. Sie lernt Zoophilie und Zoophile kennen und versucht neue Antworten auf Fragen nach dem Zusammenhang von Sexualität und freiem Willen, nach »Beziehungen auf Augenhöhe«, nach Legalität und Pathologisierung, nach Begehren und Unterdrückung, nach Formen des Coming-out und der Toleranz zu finden. Im Zentrum steht die Frage nach dem Verzicht: Als »heilig« werden unter Zoophilen diejenigen bezeichnet, die besonders empathisch und gleichberechtigt mit Tieren umgehen und keine sexuelle Beziehung zu ihnen eingehen. Hamanos faszinierende Recherche, die mit einer beeindruckenden Reflexion über sexuelle Gewalt endet, wird zu einer Form der Selbstheilung.

Chihiro Hamano, 1977 in Hiroshima geboren, absolvierte zunächst ein Studium an der philologischen Fakultät der Waseda-Universität, Tokyo, und schreibt Essays, Filmkritiken, Interviews und Reiseberichte für verschiedene Magazine und Zeitungen. 2018 schloss sie ein weiteres Studium der Kulturanthropologie an der Universität Kyoto ab und promovierte mit einer Dissertation zum Thema Sexualität. Saint Zoo ist ihr erstes Buch auf Deutsch. Daniel Yamada ist geboren in Wien und wohnt seit dem Jahr 2000 in Berlin-Kreuzberg. Nach jahrelanger Tätigkeit als Tänzer und einer Tournee nach Japan studierte er Ostasienwissenschaften und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin, daraufhin Japanologie mit Schwerpunkt Übersetzung sowie Tanzwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Dozent für Deutsch als Fremdsprache u.a. am Sprachenzentrum der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Keio Universität und Dokkyo Universität in Japan. Daniel Yamada ist freiberuflicher Übersetzer seit 2017.

KAPITEL I


Unmoral bei Menschen und Tieren


Das ist Tiervergewaltigung!


»Welch ungeheuerliche Frage. Wie abnormal!«

Die Frau riss ihre Augen auf, in einer Mischung aus Erregung und Sprachlosigkeit glotzte sie mich an. Bisher schien sie milde gelächelt zu haben, doch das hatte sich schlagartig geändert. Sie tauschte Blicke mit der Frau neben sich aus, die das gleiche T-Shirt wie sie trug. Sich von mir abwendend ließ sie Folgendes auf mich los:

»Dass Menschen Sex haben, okay! Aber mit Tieren! Nein!«

»Welches Problem stellt sich denn bei Sex mit Tieren?«, erwiderte ich.

Die Frauen kreischten beinahe hysterisch und starrten mich an.

Es war ein strahlend sonniger Sonntag in Bremen. Am 18. Juni 2017 herrschte in der Nähe des Hauptbahnhofes bereits am Vormittag reger Verkehr. Von den Menschenmassen angeregt spazierte ich durch die Stadt, in der ich zum ersten Mal zu Besuch war. Vor den Läden schwebte der Duft von Würstchen, Passanten zogen vorüber. Ich vertrieb mir meine Zeit, wandelte umher und begab mich in Richtung der Sehenswürdigkeiten, zunächst zum berühmten Marktplatz. Die Stadt ist durch Grimms Märchen »Die Bremer Stadtmusikanten« bekannt, und dieser sehr touristische Ort erhielt sich noch immer eine mittelalterliche Atmosphäre. Unterwegs traf man vielerorts auf die im Märchen vorkommenden Tiere Esel, Katze, Hund und Hahn, die als Motiv für Kunstgegenstände und andere Objekte herhielten. Neben dem Rathaus, einem aus Backstein errichteten Barockgebäude, stand die berühmte Bronzestatue der »Stadtmusikanten«, bei der es von Familien und Touristen nur so wimmelte. Es heißt, wenn man den Vorderfuß des Esels berühre, der zuunterst stehend alle anderen Tiere auf sich schultert, gehe ein Wunsch in Erfüllung. So drängten sich Scharen darum, den Eselhuf zu berühren, und schossen zum Beweis ein paar Fotos.

Die Tiere des Märchens strahlten gütige Milde aus und damit wohl alles andere als meine »abnormale« Frage an die Frauen der Tierschutzgruppe »Action Fair Play«, die sich mit verachtendem