1. KAPITEL
Sebastian Delfont stand reglos auf der Terrasse seines Docklands Penthouse und starrte zum letzten Mal auf den morgendlichen Nebel, der von der Themse aufstieg und den Blick auf die Londoner Skyline verschleierte. Seine Hände krallten sich so fest um das kalte Metall des Geländers, dass sie schmerzten. Doch er bemerkte es kaum. Sebastian wusste, dass er der Pflicht, die sein Familienname mit sich brachte, nicht länger entkommen konnte. Hier und jetzt musste er sich von seiner Unabhängigkeit verabschieden, von der Freiheit, sein Leben zu seinen eigenen Bedingungen zu führen. Der Tod hatte einmal mehr seine Familie heimgesucht, und jetzt war er an der Reihe, Verantwortung zu übernehmen.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus, wohl wissend, dass ihn niemand hören konnte. Selbstmitleid war nicht angesagt. Er war unendlich reich und privilegiert, gehörte zur Crème de la Crème der Gesellschaft. Das war Teil seines Erbes. Dennoch war die Geschichte seiner Familie von Tragödie und Verlust gezeichnet. Er fühlte sich darin gefangen, doch er konnte dieser Vergangenheit nicht entkommen. Er war ein Delfont, und das bedeutete Verantwortung, ob ihm das nun gefiel oder nicht.
Die Frauen, die er engagiert hatte, um alles in seinem Apartment zusammenzupacken, würden bald hier sein. Man hatte ihm die Firma PWP als die beste Packfirma in ganz London empfohlen und sie für ihre Diskretion und Effizienz gelobt. Das war genau das, was Sebastian wünschte, denn er konnte nur die besten Profis für den Umgang mit seinem Besitz gebrauchen. Von seinen Büchern, den Kunstwerken und Bildern waren manche wertvoll, andere hatten lediglich einen sentimentalen Wert für ihn. Aber alle lagen ihm am Herzen, denn in gewisser Weise stellten sie für ihn die Sicherheit dar, nach der er sich als Kind oft gesehnt hatte. Viele dieser Gegenstände würde er einlagern müssen, weil sie nicht zu dem historischen Haus am Cheyne Walk passten, wo er ab jetzt leben würde. Ein Haus, zu dem auch Sebastian nicht passte – und auch nie gepasst hatte.
Wenn die Packer eintrafen, würden sie alles mitnehmen, denn er hatte das Penthouse bereits für eine hohe Miete weitervermietet. Für ihn würde das Haus, in das er nun zog, immer das seines Großvaters sein, auch wenn es jetzt offiziell ihm gehörte. Denn er konnte einfach nicht vergessen, dass er dort keinen einzigen glücklichen Moment erlebt hatte.
Der Tag versprach, ein typischer Londoner Oktobertag zu werden, der sich nicht entscheiden konnte zwischen kühl und klar oder bewölkt und regnerisch. Als Sebastian gerade wieder reingehen wollte, durchbrach ein Sonnenstrahl die dunkle Wolkendecke und illuminierte den Himmel und das Wasser unter ihm. Seine spanische Mutter war ziemlich abergläubisch gewesen, und ein Teil von ihm konnte nicht anders, als zu hoffen, dass dieser Lichtstrahl ein gutes Omen für die Zukunft war …
Kitty Clements war eigentlich nie nervös, wenn sie einen neuen Auftrag begann. Warum auch? Als sie vor zwei Jahren zusammen mit ihrer Freundin Claudia ihre Firma PWP – People Who Pack – gegründet hatte, war dies ein toller Neustart für sie gewesen. Denn wertvolle Gegenstände für Menschen einzupacken, die umziehen wollten, fand sie unglaublich interessant. Außerdem konnte sie auf diese Weise unter dem Radar bleiben, und genau das passte ihr gut.
Aber heute fühlte sie sich unruhig, als sie den privaten Lift betrat, der sie in das Penthouse im neunten Stock bringen würde, aus dem ihr neuer Kunde Sebastian Delfont ausziehen wollte. Man hatte sie gewarnt, dass er schwierig sein konnte, und sie wusste nicht, was genau das bedeuten sollte. Aber schließlich war er ein Kunde, und das hier war einer der lukrativsten Aufträge, die sie in den letzten zwei Jahren an Land gezogen hatten. Es stand außer Frage, dass alles reibungslos verlaufen musste. Ihr Geschäftsmodell basierte auf ihrem guten Ruf, und wenn sie es richtig machten, konnte dieser Auftrag zu weiteren prestigeträchtigen Aufträgen führen.
Der Fahrstuhl brachte sie geräuschlos in das unglaublich elegante Foyer des Penthouse. Ihre Nervosität legte sich