Jan Brandt
Gegen das Brot
Zu meinem sechzehnten Geburtstag lieh mir mein älterer Bruder seine Charles-Bukowski-Sammlung. Er meinte, ich sei jetzt endlich in dem Alter, »etwas Vernünftiges« zu lesen, etwas, das mich weiterbringen würde im Leben. Also las ichKaputt in Hollywood, Fuck Machine, Flinke Killer, Das Liebesleben der Hyäne undDas Schlimmste kommt noch und dachte: »Ach so geht das mit dem Schreiben: Man braucht nur Sex und Alkohol, dann läuft das wie von selbst.« In Ermangelung von Sex setzte ich meine ganze Hoffnung in Alkohol als Inspirationsquelle und wartete auf die erste Möglichkeit, mich für längere Zeit heillos besaufen zu können und in diesem dauerhaften tranceartigen Zustand an einem Roman zu arbeiten – wie auch immer der dann aussehen mochte.
Am ersten Tag der Osterferien 1992 schenkte ich mir ein Glas Wein ein, stellte die elektrische Schreibmaschine an – eine AEG Olympia Carrera II mit Memory Display –, spannte ein leeres Blatt ein und trank und trank und trank, aber anstatt Ideen bekam ich Kopfschmerzen. Ich setzte den Wein wieder ab und brachte es in drei Wochen auf einhundertzwanzig einzeilig beschriebene Seiten – die Geschichte eines Aussteigers, der in einer Bar in Los Angeles einen Obdachlosen kennenlernt, selbst obdachlos wird, alles, was er hat, in den VW Käfer lädt, aufs Land fährt und als großes Finale eine Farm abfackelt. Ich heftete die Seiten ab und stellte den Aktenordner in den Kleiderschrank, ohne jemals wieder hineinzuschauen.
In den Monaten darauf las ich alles von Hermann Hesse, schrieb Gedichte an den Mond, weinte viel und verbrannte mein lyrisches Frühwerk hinterm Haus im Garten. Dann verlegte ich mich auf Novellen; meine Sammlung wuchs mit jedem Jahr, ich schrieb zehn während des Zivildienstes und zehn während des Grundstudiums, aber ich erzählte niemandem davon, weil ich mit einem Zyklus, einem großen Novellen-Wurf, an die Öffentlichkeit treten wollte, eine zeitgenössische Version desDekamerone. Nach einem einjährigen Aufenthalt in London, wo ich mich Kommilitonen gegenüber als Schriftsteller geoutet hatte, war ich pleite und verzweifelt. Pleite, weil selbst das WG-Zimmer im Wohnheim siebenhundertfünfzig Mark gekostet hatte; verzweifelt, weil die Resonanz auf meine ersten Kurzgeschichten vernichtend gewesen war: »Das sind schlechte Kafka-Imitationen.« – »Du hast keine eigene Stimme.« – »Mich interessieren keine sprechenden Tauben.«
Als Konsequenz aus diesem doppelten Versagen tat ich das, was damals fast alle taten, die arm waren und irgendwas mit Medien machen wollten: Ich zog nach Berlin. Ende der Neunziger, in der Zeit des großen Hypes, als sich die Bundesregierung, Zeitungsverlage und Start-ups in der Haupt