I
Ich hatte in der Innenstadt zu tun gehabt und fuhr nun zurück, den Rosenheimer Berg hoch und am Gasteig-Kulturzentrum vorbei. Die Sonne spiegelte sich in der schmalen, vom Boden bis unters Dach reichenden Fensterfront, die das Gebäude in zwei Hälften teilte, und mir fiel wieder mal ein, was ein Kritiker, natürlich ein norddeutscher, einmal über dieses Gebäude geschrieben hatte. Er hatte es mit einem menschlichen Hinterteil verglichen. Man muss den monumentalen Backsteinbau ja nicht unbedingt schön finden, aber so ein Vergleich kann wohl nur einem Hamburger Preußen einfallen.
Ich fuhr oft hier hoch, denn ich wohnte da oben. Nicht im geldigen, vornehmen Bogenhausen, sondern gleich daneben, im angenehmen, sympathischen Haidhausen. Mit vielen alten Häusern, noch nicht alle luxussaniert, mit kleinen Läden und Kneipen und einem Flair, das auch das hippe Loft-Gesocks, das es zuhauf in solche Gegenden zieht, noch nicht zerstören konnte. Die Mieten sind allerdings teuer geworden, zum Teil sogar sauteuer. Münchnerisch eben. Trotzdem wohne ich immer noch da, zu einem erschwinglichen Preis. Fünfter Stock ohne Lift, wer will das schon.
Jetzt jedoch musste ich nach Bogenhausen. Ich war unterwegs zum Pressebüro Harald Leschmann, und das war, wie ich dem Internet entnommen hatte, zuständig für Film- und Fernsehpromotion, für Public Relations, Fotoservice, Medienkontakte und noch vieles andere, das ich inzwischen wieder vergessen hatte. Gestern Nachmittag hatte mich das Sekretariat des Pressebüros angerufen, Herr Leschmann bäte mich um einen Besuch, die Angelegenheit sei dringend. Es handle sich um einen Auftrag. Worum es dabei ging, wollte man allerdings nicht verraten. Mit Film und Fernsehen hatte ich bis jetzt noch nie zu tun gehabt.
Das Büro Leschmann residierte im Parterre eines schicken zweistöckigen Neubaus. Hohe Rundbogenfenster in weißer Fassade, halbrunder, gläserner Erkervorbau, sauber getrimmtes Rasenstück mit großer Buchs-Kugel davor. Die bis zum Boden reichenden Fenster gewährten einen ungehinderten Einblick ins Innere. Hinter einem großen, fast leeren Schreibtisch saß ein Mann mit Stirnglatze und telefonierte.
»Einen Augenblick bitte, ich werde Sie gleich anmelden«, sagte das perfekt zum Ambiente passende weibliche Wesen hinter dem kleinen Schreibtisch, schenkte mir ein neutrales Empfangslächeln und gab die Tatsache meiner Ankunft per Telefon weiter. Ich sah mich in dem großen Vorraum um, der fast schon eine kleine Halle war. An der Wand links vom Eingang hing das riesige Hochformat-Foto eines Pudels. Er saß vor einem weißen Hintergrund, hatte eine cremefarbene Schleife um den Hals und einen Ausdruck im Pudelgesicht, den ältere Damen als »einfach süß« zu bezeichnen pflegen. Trotzdem fragte ich mich, was der Köter hier zu suchen hatte; er passte so gar nicht zu den abstrakten farbigen Bildern ringsum.
»Hallo, Herr Moser, Harald Leschmann ist mein Name. Schön, dass Sie kommen konnten!« Der Typ mit der Stirnglatze, den ich vorhin durchs Fenster gesehen hatte, eilte nun mit dynamischem Schritt auf mich zu. Wir schüttelten uns die Hand und ich folgte ihm in sein Büro.
Hier sah es noch um einige Grade edler aus. Schwarze Ledersessel, Schreibtischplatte aus grauem Marmor, darauf ein Laptop und eine vielknopfige Telefonanlage. An der Wand ein großer Bildschirm und im Raum verteilt Deckenfluter und Leuchten von einer Stil- und Preisklasse, wie sie bestimmt in keinem Kaufhaus zu finden waren. Im Wandregal aus glänzenden Stahlstreben und beige gelacktem Holz Bücher und Zeitschriften in kunstvoll arrangierter Unordnung. Eines stand für mich sogleich fest: Mit dem Geld, das hier in der Luft lag, war auch eine aufwendige Recherche zu finanzieren.
Leschmann war etwa in meinem Alter, zweite Hälfte vierzig. Um die einsachtzig groß, schlank. Wenn er einen Bauchansatz hatte, so war dieser durch den gut geschnittenen grauen Anzug erfolgreich kaschiert. Darauf saß oben ein runder, durch die wenigen Haare und die randlose Brille noch kugeliger wirkender Kopf, der Intelligenz und satte Selbstgefälligkeit ausstrahlte. Er verbreitete jene Art von gelackter Freundlichkeit, mit der ich schon immer Probleme hatte. Aber wahrscheinlich war so etwas nötig, um in seinem Job und dieser Branche bestehen zu können.
Leschmann hatte bemerkt, dass ich meine Umgebung musterte, und fragte: »Gefällt es Ihnen?«
»Ja, sehr«, antwortete ich und fügte noch hinzu: »Guter Stil.«
Er hatte so eine Reaktion erwartet, trotzdem schien ihm noch etwas zu fehlen. Ich sah auch gleich, was es war: Im Regal gleich neben dem Schreibtisch, also so, dass jeder Besucher es sehen musste, stand das gerahmte Foto einer schönen, dunkelhaarigen jungen Frau. Ich sah es an und bemühte mich um einen bewundernden Gesichtsausdruck.
»Meine Frau«, sagte Leschmann. »Sie war Topmodel.«
»Respekt«, sagte ich und fand das gleichzeitig ziemlich dämlich, aber etwas anderes fiel mir nicht ein. In einer Ecke hinter seinem Schreibtisch lehnte eine kleinere Ausgabe des Pudelfotos an der Wand. »Ihr Hund?«, fragte ich.
Der Kugelkopf nickte. »Ja. Ist doch ein klasse Foto, oder? Wir überlegen gerade, ob wir nicht mehr daraus machen können. Vielleicht so eine Art Firmenlogo.«
»Gute Idee«, sagte ich