: Fjodor M. Dostojewski
: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch Erster und Zweiter Teil
: epubli
: 9783756524907
: 1
: CHF 3.90
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: Lyrik, Dramatik
: German
: 168
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im Jahr 1864, kurz bevor er mit Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Besessenen und Die Brüder Karamasow seine größten Romane schrieb, verfasste Dostojewski mit den düsteren und faszinierenden Aufzeichnungen aus Kellerloch seinen wohl revolutionärsten Roman. In einigen anderen Übersetzungen wird auch der Titel Aufzeichnungen aus dem Dunkel oder Notizen aus dem Untergrund verwendet. Die namenlose Hauptfigur der Erzählung, ist ein ehemaliger Beamter, ein Antiheld par excellence, der sich trotzig in sein Untergrunddasein zurückgezogen hat. In völliger Abkehr von der Gesellschaft schreibt er eine leidenschaftliche, obsessive, in sich widersprüchliche Erzählung, die als verheerender Angriff auf den sozialen Utopismus und als Behauptung der im Wesentlichen irrationalen Natur des Menschen dient. Im zweiten Teil des Romans Bei nassem Schnee erzählt der Mann aus dem Kellerloch von seiner Jugend und einigen prägenden Erlebnissen. Wir erfahren, dass er ein Waisenkind war. Es gab in seiner Jugend keine Person, die ihm irgendeine Art von Liebe oder angemessene menschliche Nähe zuteilwerden ließ. Sein Glaube, dass die Menschen ihn immer als unzureichend ansehen werden, stammt aus seiner Kindheit und der Art und Weise, wie die Menschen ihn einst behandelten. Aber auch im Erwachsenenalter plagen ihn seine Minderwertigkeitsgefühle. Die Prostituierte Liza ist für den Mann aus dem Kellerloch die letzte Chance, mit jemandem eine echte Beziehung zu führen. Nachdem sie unzählige Male von ihm verspottet wird, erkennt Liza, dass seine Persönlichkeit das Ergebnis seiner Unzufriedenheit ist. Immer wenn er versuchte, ein normales Leben zu führen und gut zu sein, wurde er abgelehnt und verspottet. Aber auch gegenüber Liza mangelt es ihm an Vertrauen, und so stößt er sie von sich und zieht sich endgültig in sein Kellerloch zurück.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski war ein russischer Schriftsteller, Kurzgeschichtenschreiber, Essayist und Journalist. Dostojewskis literarische Werke erforschen den menschlichen Zustand in der unruhigen politischen, sozialen und spirituellen Atmosphäre des Russlands des 19. Jahrhunderts und beschäftigen sich mit einer Vielzahl philosophischer und religiöser Themen. Zu seinen bekanntesten Romanen gehören 'Schuld und Sühne' (1866), 'Der Idiot' (1869), 'Dämonen' (1872) und 'Die Brüder Karamasow' (1880). Seine 1864 erschienene Novelle 'Aufzeichnungen aus dem Kellerloch' oder 'Aufzeichnungen aus dem Untergrund' gilt als eines der ersten Werke der existenzialistischen Literatur.

VII


Doch das sind alles nur goldene Träume. Oh, sagen Sie bitte, wer hat als erster verkündigt, wer zuerst bekanntgemacht, dass der Mensch nur deswegen Gemeinheiten begeht, weil er seine Interessen nicht kennt; und dass, wenn man ihn aufklären und ihm die Augen für seine wahren Interessen öffnen würden, der Mensch sofort aufhören würde, Gemeinheiten zu begehen; er würde gut und edel werden, denn einmal aufgeklärt, würde er seinen wahren Vorteil erfassen und müsste diesen Vorteil im Guten erkennen, denn bekanntermaßen kann ja niemand vorsätzlich gegen seinen eigenen Vorteil handeln. Folglich würde der aufgeklärte Mensch gewissermaßen notwendigerweise Gutes tun. Oh Unschuld! Oh, heilige Unschuld! Wann ist es denn im Laufe all dieser verflossenen Jahrtausende schon vorgekommen, dass der Mensch einzig und allein um des eigenen Vorteils willen gehandelt hätte? Wohin mit den Millionen von Tatsachen, die da deutlich bezeugen, dass Menschen vorsätzlich, das heißt bei voller Einsicht in das eigentlich Vorteilhafte, dies dennoch bewusst ignorierten und einen anderen Weg einschlugen, das Wagnis, auf das Geratewohl, von niemandem und durch nichts dazu gezwungen, allein aus Auflehnung gegen den vorgezeichneten Weg und sich hartnäckig und eigenwillig einen anderen, mühseligeren Weg bahnten, einen absurden, zuweilen im Stockfinstern herumtappend. Das bedeutet doch, dass ihnen diese Hartnäckigkeit und dieser Eigenwille bei weitem lieber waren als jeder Vorteil... Vorteil! Welcher Vorteil? Könnten Sie sich etwa anmaßen, immer ganz genau zu wissen, worin eigentlich der menschliche Vorteil besteht, wenn es doch häufig vorkommt, dass der menschliche Vorteil nicht nur darin bestehen kann, sondern sogar darin bestehen muss, sich das Schlechte und nicht das Vorteilhafte zu wünschen? Sollte das aber so sein, wird einmal die Möglichkeit eines solchen Falles zugegeben, so ist die ganze Regel über den Haufen geworfen. Und was meinen Sie? Kann es einen solchen Fall geben oder nicht? Sie lachen; lachen Sie nur, meine Herrschaften, aber antworten Sie auch: Sind denn die menschlichen Vorteile in völlig zuverlässiger Weise klassifiziert? Gibt es nicht auch solche, die nicht nur in keiner Kategorie untergebracht sind, sondern die sich überhaupt nicht klassifizieren lassen? Haben Sie doch, meine Herrschaften, soviel ich weiß, Ihr ganzes Register der menschlichen Vorteile dem statistischen Durchschnitt und den nationalökonomischen Formeln entnommen. Ihre Vorteile sind doch – Wohlergehen, Reichtum, Freiheit, Bequemlichkeit usw. usw., so dass ein Mensch beispielsweise, der sich unmissverständlich und vorsätzlich gegen dieses Register auflehnt, nach Ihrer Meinung und, nun ja, selbstverständlich auch nach meiner, entweder ein Fortschrittsfeindlicher oder ein völlig Verrückter sein müsste, nicht wahr? Aber bei alledem ist doch eines verwunderlich: Wie kommt es, dass all diese Statistiker, Weisen und Menschenfreunde beim Errechnen der menschlichen Vorteile fortwährend einen ganz bestimmten Vorteil übersehen? Mit ihm wird gar nicht gerechnet, jedenfalls nicht so, wie mit ihm gerechnet werden müsste; davon aber hängt die ganze Rechnung ab. Es wäre weiter kein besonderer Aufwand, man hätte diesen Vorteil wahrnehmen und einfach auf die Liste setzen können. Das Unglück liegt aber darin, dass dieser eigenartige Vorteil sich überhaupt nicht klassifizieren und in keine Liste aufnehmen lässt. So habe ich zum Beispiel einen Freund... aber meine Herrschaften, er ist ja bestimmt auch Ihr Freund; und überhaupt, wessen Freund ist er denn nicht? Angesichts einer Aufgabe wird dieser Herr Ihnen sofort beredt und deutlich auseinandersetzen, wie er gemäß den Gesetzen der Vernunft und der Wahrheit handeln muss. Nicht genug, er wird mit Feuer und Leidenschaft über die wahren, normalen menschlichen Interessen deklamieren; er wird spöttisch die kurzsichtigen Dummköpfe zurechtweisen, die weder ihre eigenen Vorteile noch die wahre Bedeutung der Tugend erkennen und schon in der nächsten Viertelstunde, ohne jeden äußeren Anlass, aber aus irgendeinem inneren, der sich stärker als all seine Interessen erweist, wird er einen Haken schlagen, das heißt, er wird offen gegen alles vorgehen, was er selbst behauptet hat: Gegen die Gesetze der Vernunft, gegen den eigenen Vorteil, also, mit einem Wort, gegen alles. Ich möchte vorausschicken, dass mein Freund eine Kollektivperson ist und dass es darum nicht gut möglich ist, ihn allein zu beschuldigen. Das ist es ja gerade, meine Herrschaften, gibt es denn nicht wirklich etwas, das fast jedem Menschen teurer ist als seine besten Vorteile? Man könnte wohl sagen (um nicht gegen die Logik zu verstoßen), es gibt da solch einen vorteilhaftesten Vorteil (eben den, den wir vorhin erwähnten), einen Vorteil, wichtiger und vorteilhafter als alle anderen Vorteile, um dessentwillen der Mensch bereit ist, wenn es darauf ankommt, sämtliche Gesetze umzustoßen, das heißt, wider die Vernunft, die Ehre, die Ruhe und das Wohlergehen zu handeln – kurz, gegen all diese ausgezeichneten und nützlichen We