Vorbemerkung des Herausgebers
Als Samuel Taylor Coleridge (1772–1834) starb, verstummte eine der prominentesten Stimmen im britischen Geistesleben. Doch es war nicht in erster Line die Stimme eines Dichters, denn diese hatte sich schon drei Jahrzehnte zuvor gesenkt. In seinem letzten Lebensabschnitt war Coleridge zu einer Autorität als christlicher Philosoph, Moralist und Kulturkritiker geworden. Als »Weiser von Highgate« wohnte er im Haushalt seines Leibarztes und empfing Gäste. In Scharen kamen sie angereist, um dem legendär eloquenten und charismatischen Mann zuzuhören, wie er aus dem Stand druckreif über alle möglichen Themen dissertierte und dabei mühelos zwischen den Disziplinen, Zeitaltern und Sprachräumen wechselte. Auch publizistisch war Coleridge primär als Prosaschriftsteller präsent. Mit seinenLaienpredigten, mit der staats- und kirchenpolitischen StellungnahmeOn the Constitution of the Church and State sowie mit dem intellektuellen ErbauungsbuchAids to Reflection leistete er Beiträge zu Debatten und Entwicklungen, die noch weit ins 19. Jahrundert hinein wirken sollten.
SeineBiographia Literaria von 1817, mit der er heute als eine der Gründerfiguren der Dichtungstheorie und Literaturwissenschaft etabliert ist, war da bereits ein wenig in den Hintergrund gerückt. Mit dem überbordenden Gemisch aus Autobiografie, Philosophie, Poetik und praktischer Lyrikkritik hatte sich Coleridge selbst überfordert, und seine Leserschaft noch viel mehr. Dennoch war seine Reputation als Kenner der philosophischen und literarischen Tradition, insbesondere auch der deutschsprachigen romantisch-idealistischen, gefestigt – zumal er sie auch in mehreren öffentlichen Vorlesungsreihen, etwa in der Royal Institution in London, unter Beweis gestellt hatte.
Aber Coleridge der Dichter? Diese Geschichte lag noch einmal fast zwei Dekaden weiter zurück. Als Coleridge in den Jahren 1816 endlich zwei seiner wichtigsten Gedichte »Christabel« und »Kubla Khan« erstmals veröffentlicht und 1817 mitSibylline Leaves viele Gedichte in Buchform publiziert hatte, die zuvor nur in Zeitungen, Jahrbüchern und Pamphleten erschienen waren – da schien er in eine Zeit zurückzuschauen, die ihm selbst schon weit entrückt war. »Kubla Khan«, vielleicht das wirkmächtigste literarische Werk, das auf zwei Buchseiten Platz hat, tat er in einer Einleitung als »psychologisches Kuriosum« ab und erklärte wortreich, warum das Gedicht bloß als Fragment eines viel größeren Werks überlebt habe. Auch »Christabel«, der Schauerballade, die in mündlichem Vortrag Byron, Scott und Shelley beeindruckt und inspiriert hatte, stellte er eine zauderhafte, defensive Vorbemerkung voran.
Seit der Jahrhundertwende war Coleridge, noch nicht in der Hälfte seines Lebens, überzeugt, dass ihm die dichterische Inspiration abhanden gekommen war. Die Furcht, dass seine Neigung zum abstrakten Denken und zur metaphyischen Spekulation der Entfaltung seiner Kreativität abträglich sei, hatte er jedoch schon Jahre zuvor gehegt und selbst in seinen Gedichten verhandelt. Ironischerweise gehören seine lyrischen Selbstanklagen und Selbsterniedrigungen mit zum Besten, was er zu Papier gebracht hat. »Schwermut: Eine Ode« von 1802 ist das eindrücklichste Beispiel dafür, und zugleich eine Art Coda zu Coleridges dichterischer Blütezeit.
Dass sich Coleridge immer wieder auch betont unbekümmert über den Verlust seiner lyrischen Schaffenskraft und über seine neue Berufung als Philosoph oder über