: Jens Balzer
: Schmalz und Rebellion Der deutsche Pop und seine Sprache
: Duden
: 9783411913930
: Duden - Sachbuch
: 1
: CHF 15.30
:
: Pop, Rock
: German
: 208
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Über Sex kann man nur auf Englisch singen? So hieß es jedenfalls einst bei Tocotronic. Jens Balzer beleuchtet das spannungsreiche Verhältnis von Popmusik und deutscher Sprache: Die ersten Rockbands singen natürlich auf Englisch, als Rebellion gegen die spießigen Eltern. Politische Liedermacher entdecken Mundarten und Dialekte. In der Neuen Deutschen Welle wird das Spiel mit der Sprache ironisch und kunstvoll. Im Hip-Hop der Gegenwart zeigt sich, wie divers, vielstimmig und auch widersprüchlich die Gesellschaft geworden ist. So entsteht eine Geschichte der Sprache im deutschen Pop - und wie nebenbei eine Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Vor allem aber gibt es viele erstaunliche, oft bizarre, manchmal unglaubliche Songtexte (wieder-)zuentdecken.

Jens Balzer, geboren 1969, ist Autor und Kulturjounalist für ZEIT, Rolling Stone und radioeins. Gemeinsam mit Tobi Müller kuratiert er den Popsalon am Deutschen Theater Berlin. Seine jüngsten Bücher sind: »Pop. Ein Panorama der Gegenwart« (2016), »Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik« (2019), »Das entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er« (2019) sowie »High Energy. Die Achtziger - das pulsierende Jahrzehnt« (Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste im August 2021).

DURCH DAS FREMDE ZU SICH SELBST FINDEN


Eine Sprachgeschichte des deutschen Pop


»Wann, tuu, zriee, forr, läts go.« Ein junger Mensch steht vor einem Spiegel und versucht, die Posen einzuüben, die er oder sie sich bei einem bewunderten Popstar abgeschaut hat: die Coolness, den Glamour, die Souveränität. Vielleicht ist dies eine der Urszenen des deutschen Pop. Man versucht, sich in eine fremde Subjektivität hineinzufühlen, die einem größer, interessanter, weltläufiger als die eigene erscheint. Das geschieht überall auf der Welt, wo junge Menschen großen Popstars nacheifern. Aber in Deutschland gehört zu dieser Einübung fast immer auch die Verwendung einer fremden Sprache. Denn cooler, glamouröser Pop wird nicht auf Deutsch gesungen, sondern auf Englisch. Oder in einer Variante des Deutschen, die sich von der Sprache des täglichen Lebens unterscheidet – durch ihr Vokabular, ihren Akzent, ihre Vermischung mit anderen Sprachen, Dialekten, Soziolekten. Wer sein will wie ein Popstar, möchte aus seinem eigenen Leben heraustreten. In Deutschland heißt das auch: Wer sein will wie ein Popstar, möchte aus seiner ganzen Kultur heraustreten und aus der Sprache dieser Kultur.

Zum Pop gehört wesentlich das Aufbegehren gegen die Elterngeneration; es ist typisch für jene biografische Zwischenphase, die man heute als Teenagerzeit bezeichnet, in der die Menschen keine Kinder mehr sind, aber auch noch nicht die Verantwortungslast des Erwachsenenlebens tragen. In dieser Phase kann man sich ausprobieren und auch darüber nachdenken, welchen Platz man in der Welt einnehmen möchte – zu welchem Menschen man werden will. Im deutschen Pop bedeutet dies oft auch: Man eignet sich andere Sprachen an, um die eigene Fremdheit in der Welt zu formulieren.

Das Eigene im Pop ist das Fremde. Oder anders