Minas Kindheit zwischen Afghanistan und Iran
Mina erwartet mich an diesem Morgen des 22. April 2011 in einer Ecke des Hotelempfangsraums, eingehüllt in einen schwarz-weissen Tschador mit einem Muster, das an eine Tapete erinnert. Neben ihr steht ein Mann, etwas grösser als sie, in weisser, traditioneller Kleidung. Er eilt uns mit langen Schritten entgegen, sie aber rührt sich nicht vom Fleck. Den Tschador hat sie eng um den Körper gewickelt, über den Kopf und bis unters Kinn gezogen. Trotz dieser Verhüllung ist ihre Schönheit sofort erkennbar, ihre fein geschnittene Nase, das kleine Grübchen unter dem sanft geschwungenen Mund und ihre dunklen Augen, die Entschlossenheit ausstrahlen. Als ob die mädchenhafte Leichtigkeit noch nicht ganz gewichen und die Ernsthaftigkeit des Frauseins noch nicht ganz in ihr Leben eingezogen wären. Sie hebt den Kopf, nickt, sagt: «Salam», Frieden. Ein kriegsversehrtes Land, in dem man sich nichts mehr wünscht als das, es bei jeder Begrüssung wiederholt: Frieden.
Erst im kleinen Restaurant dieses unscheinbaren Hotels in Herat legt Mina ihren Tschador ab. Jetzt kommt ihr lockiges, schwarzes Haar, das ihr fast bis zur Taille reicht, unter dem bunten Kopftuch zum Vorschein. Sie trägt enganliegende Jeans und spitze Schuhe, staubig von Herats Strassen. Der Mann hat ihr einen Stuhl vor einen Tisch gerückt, ausser Hörweite von anderen Gästen. Er heisst Mustafa. Die beiden haben erst vor kurzem geheiratet. Mustafa sagt wenig, sitzt still da und schaut seine Frau bewundernd an, als sie mit sanfter, melodiöser Stimme ihre Geschichte zu erzählen beginnt.
Ich heisse Mina Amani, bin Schauspielerin, Sängerin und Fernsehmoderatorin. Geboren bin ich am 21. August 1989, aber wie viele Afghaninnen und Afghanen habe ich keinen Geburtsschein. In meinem Pass steht deshalb der 31. Dezember 1988 als Geburtsdatum. Viele Afghanen kennen ihr Geburtsdatum gar nicht. Sie sagen einfach: «Ich bin im Jahr der grossen Flut geboren» oder «als der grosse Schnee kam». Schon als ich fünf Jahre alt war, stand ich oft vor dem Spiegel und stellte mir vor, ich sei Fernsehmoderatorin. Ich sagte dann zu meinem Spiegelbild: «Hallo, erfreut, Sie hier begrüssen zu dürfen, bitte stellen Sie sich vor.» Ich träumte davon, auf der grossen Bühne Theater zu spielen, Fernsehshows zu moderieren und zu singen wie die Sängerin Googoosh. Im Iran ist sie die Popikone schlechthin, eine mutige Frau mit einer traurigen Kindheit und einem Leben voller Schwierigkeiten. Nach der iranischen Revolution 1979 durfte sie zwanzig Jahre lang nicht singen und auftreten, weil das Frauen verboten war. Ich habe jetzt auch schon lange nicht mehr gesungen und bin nicht mehr aufgetreten. Aber ich denke immer an Googoosh, wie stark und unbesiegbar sie war, wie sie alles still durchlitten hat und am Ende wieder auf der Bühne stand. Ich bin sicher, dass ich irgendwann wieder singen werde. Genau wie Googoosh wusste auch ich schon früh, dass ich es eines Tages schaffen werde. Doch was ich als kleines Mädchen noch nicht ahnte, war, dass Frauen in Afghanistan immer einen Preis für ihren Erfolg zahlen. Davon kann ich ein Lied singen.
Meine Eltern wurden beide in Herat geboren, ich jedoch kam in der iranischen Stadt Ma