: Irina Rastorgueva
: Das Russlandsimulakrum Kleine Kulturgeschichte des politischen Protests in Russland
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751808040
: 1
: CHF 10,80
:
: Gesellschaft
: German
: 140
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Dramaturgin und Essaystin Irina Rostorgueva erzählt in diesem mit großer Intensität verfassten Essay Fakten und Geschichten über die unmögliche und doch sehr lebendige, aktuelle russische Opposition. Sie benennt und beschreibt den parlamentarischen Unterdrückungsapparat, erfundene Fälle und Prozesse, politische Satire, Internet-Trolle und Guerillakrieg. Die absurde, kafkaeske und dystopische russische Realität stellt sie damit ins grelle Licht der Reflexion und wirft einen Blick hinter die endlose Produktion von Fassaden, Schildern und Etiketten: Dahinter herrscht verzweifelte Leere. Die Duma erlässt unnötige Gesetze, es werden nichtexistierende Feinde erfunden, eine Pseudo-Opposition sitzt im Parlament, die echte Opposition sitzt wegen falscher Anklagen im Gefängnis, die Polizei produziert selbst unablässig Terroristen. »Nichts in Putins Russland ist echt«, egal, was man anfasst. Hier sind Wahlen nur eine Simulation, und Proteste nur ein Vorwand für Repressionen. Und die Vergangenheit Russlands ist noch unbekannter als seine Zukunft.

Irina Rastorgueva, 1983 in Juschno-Sachalinsk geboren, studierte Philologie an der Staatlichen Universität Sachalin und arbeitete als Kulturjournalistin für mehrere russische Zeitschriften und Radiosender. 2006-2015 war sie Dozentin für Journalistik an der Staatlichen Universität Sachalin. Sie ist Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Artikel über die Theorie und Geschichte der Literatur und des Journalismus des 20. Jahrhunderts. 2011 gründete sie das Kulturmagazin ProSakhalin. Von 2011 bis 2017 war sie Dramaturgin am Tschechow-Theater Sachalin und künstlerische Produktionsleiterin des Far Eastern Theatre Forum / Theatre go round Festival in Sapporo 2015. Seit 2017 arbeitet sie frei als Dramaturgin und Regisseurin in Berlin und schreibt u. a. für die Berliner Zeitung, die FAZ und das Magazin Osteuropa. Seit 2021 hält sie Vorlesungen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Department Design.

2. Auf der Suche nach der nationalen Idee


Was man nicht alles wollte: hier die Verfassung, da Stör mit Meerrettich, hier irgendjemanden beleidigen.

SALTYKOW-SCHTSCHEDRIN,Kulturmenschen

Das gesamte Jahr 2021 hindurch kämpfte die russische Regierung unermüdlich gegen die Verwestlichung der Bevölkerung, bekämpfte Kundgebungen und Proteste, die nach Ansicht der führenden Politiker der machthabenden Partei »Einiges Russland« von ausländischen Agenten und anderen unerwünschten Organisationen initiiert wurden. Tausende Menschen wurden verhaftet, zu Geldstrafen verurteilt, verprügelt und in Gefängnissen gefoltert, weitere Tausende mussten aus Angst um ihr Leben aus Russland fliehen. Dutzende von Menschenrechtsorganisationen wurden aufgelöst. All das geschah unter dem Motto: »Nieder mit den prowestlichen Werten, Russland hat seinen eigenen Weg.«

Einer der Ideologen des Putinismus, Wladislaw Surkow, ein ehemaliger Berater des Präsidenten, führte 2006 das Konzept der souveränen oder gelenkten Demokratie ein, das den Schwerpunkt auf die Nichteinmischung anderer Staaten in die Innenpolitik Russlands legt u