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Umkehr der Richtung
Geboren werden, umherirren, sterben, verwesen, vergessen werden, Khaiber-Pass. Dann Indien, Campingplatz in Delhi, Schloss und kein Schlüssel. Alles ist anders. Indien; die härteste Schule. Ich weiß nicht, ob ich sie überlebe. Den Tod lernt keiner. Unberührbarkeit auch nicht. Ich komme nicht mehr zurück. Tue nur so. Jahrzehntelang. Nie mehr aufgetaucht. Bis eines Tages Helmudo anruft. Aus meiner alten Theatergruppe in Gießen. Wir müssen hin, schreit er ins Telefon.
Wohin?
Indien. Delhi, Filme von Alexander.
Du spinnst, sage ich. Das ist wie in einem schlechten Roman.
Ja, sagt er, das Leben.
Ein paar Wochen später stehe ich nach fast vierzig Jahren wieder in Delhi. Zusammen mit Natascha, Kamal, Abdul, Helmudo. Nur der Campingplatz fehlt. Und der Mercedes. Schwarzes Wüstenschiff, völlig untauglich für die löchrigen Straßen, die nach Indien führen. Wir kennen uns seit dem Studium. Haben zusammen Theater gespielt. Auch auf Straßen, Plätzen, in besetzten Häusern. Unser letztes StückEin Sommernachtstraum nach Shakespeare. Danach in alle Winde zerstreut. Kamal immer unterwegs, macht Filme, Abdul Kindertheater in Gießen. Natascha Regie an größeren Häusern. War lange in New York. Helmudo ist für immer verrückt geblieben, aber nicht plemplem. Wir suchen Alexander, die große Liebe. Das ist der mit der Katze, Filmer wie Kamal. Der eines Tages weg ist, uns alle verlässt. Seitdem wissen wir nicht mehr, wem das verlassene Gefühl gehört, das mit uns ist. Alexander ist Schweizer. Lebt in Indien, keiner weiß wo. Filme von ihm sollen in der Schweizer Botschaft in Delhi gezeigt werden. Eine Retrospektive, irgendein Jahrestag. Helmudo hat nicht lockergelassen. Uns alle jeden Tag erneut angerufen.
So kommt es, dass wir auf der Suche nach ihm eines Abends in der Wohnung des Schweizer Konsuls in Mumbai sitzen. Kennengelernt haben wir diesen und seine Frau gleich zu Beginn unserer Reise in Delhi. Wir erzählen von Alexander und unserer Suche. Sie scheinen uns zu mögen, laden uns nach Mumbai ein. Wissen nicht, wie hartnäckig wir sind. Kamal kennt sie von Dreharbeiten in China, wo sie vorher stationiert waren. Er will einen Mutter-Teresa-Film machen. Schon seit vielen Jahren. Vielleicht mit Schweizer Beteiligung. Nachts schreibt er am Drehbuch. Kommt zornig zum Frühstück. Hört zu, sagt er. Und wir sagen kein Sterbenswort mehr. Da ist diese junge Inderin aus Toronto, sagt er, ihr kennt sie schon. Wir nicken. Mit ihr muss der Film anfangen. Sie ist schwanger. Unfreiwillig, klar. Entweder mag sie den Mann nicht oder der Mann mag sie nicht. Sie weiß es nicht, ist desorientiert. Was soll sie tun? Er schaut uns an. Wir zucken mit den Schultern.
Sie beschließt, nach Indien zurückzugehen. Wo eine arrangierte Ehe auf sie wartet. Die will sie aber auch nicht. Genauso wenig wie das Kind.
What the hell, sagt Natascha wie fast jeden Morgen an dieser Stelle. Die steckt in der Tinte.
Nein, wartet, sagt Kamal. Ab jetzt habe ich es umgeschrieben. Ist viel besser geworden. In Indien erfährt sie nämlich, dass sie eine Waise ist. Von Mutter Teresa adoptiert. Na, was sagt ihr jetzt?
Wir schweigen. Ja, sagt er, das ist es eben. Mutter Teresa tritt erst dann in Szene. Rückblende, sie noch jung, hört Jesus, er spricht mit ihr. Eines Tages fordert er sie auf, zu den Armen zu gehen. Pflege sie, kümmere dich um sie. Sie sind d